April 2011 Archive

Das „Europa-Net“ mit Grenzkontrollen und Blockade „unerlaubter“ Inhalte

Da freut man sich, dass in Deutschland die Netzsperren vom Tisch sind, und auch in der EU ziemlich sicher verpflichtende Sperren verhindert werden konnten, da kommen neue Ideen zur Territorialisierung des Internets von der EU: die Law Enforcement Working Party (LEWP) des EU-Ministerrats schlägt ein Europa-Net vor, mit „virtuellen Schengen Grenzen“ an „virtuellen Zugangspunkten“ vor. Internet-Zugangsanbieter sollen dann „unerlaubte“ bzw. „gesetzwidrige“ Inhalte blockieren – China lässt grüßen!

In dem Protokoll der Sitzung vom 17. Februar des LEWP heißt es dazu wortwörtlich:

8. Cybercrime

The Presidency of the LEWP presented its intention to propose concrete measures towards creating a single secure European cyberspace with a certain "virtual Schengen border" and "virtual access points" whereby the Internet Service Providers (ISP) would block illicit contents on the basis of the EU "black-list".

Da hier explizit auf „illicit contents“, also  „unerlaubte“ bzw. „gesetzwidrige“ Inhalte Bezug genommen wird ist zu befürchten, dass damit tatsächlich die große chinesische Lösung gemeint ist, also umfangreiche Sperren: alles, was irgendwie nicht zulässig ist, wird blockiert. Und darunter fallen dann viele Inhalte abseits der immer wieder diskutierten Fälle, eben alles, was möglicherweise hier nicht veröffentlicht werden dürfte: „geschäftsschädigende“ Inhalte beliebiger Art, Beschimpfungen von Politikern oder Prominenten und so weiter – also zum Beispiel die (natürlich nicht) gefärbten Haare eines Ex-Politikers (Persönlichkeitsrechtsverletzung!), die Verwendung des Wortes „Kinder“ in falschem Kontext (Markenrechtsverletzung) und so weiter. 

 

Die belgische Polizei beschreibt die LEWP folgendermaßen:

Die LEWP (Law Enforcement Working Party) ist eine Arbeitsgruppe des Rates „Justiz und Inneres“ der Europäischen Union. Diese Arbeitsgruppe besteht aus den Vertretungen (Delegationen) aller EU-Mitgliedstaaten. Viele Themen und Initiativen werden in der LEWP vorbereitet, um danach weiter in den spezialisierten Gremien behandelt zu werden. In dieser Hinsicht ist die LEWP ein bedeutendes Verbindungsglied im Europäischen Regelwerk. 

 

Es ist schon erstaunlich, wie viele Gremien immer wieder die chinesische Lösung für das Internet fordern …

(via Statewatch)

Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Verfassungsbeschwerde gegen das Zugangserschwerungsgesetz nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsrichter haben die Verfassungsbeschwerde als unzulässig bewertet und damit über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Zugangserschwerungsgesetz erst gar nicht entschieden.

Der knappe Beschluss vom 29.03.2011 – bei dem es sich um einen Textbaustein handelt – ist am 11. 04. 2011 bei uns eingegangen und deutet darauf hin, dass das BVerfG der Ansicht ist, es sei nicht ausreichend dargelegt worden, dass die vier Beschwerdeführer in ihren Grundrechten verletzt sind.

Dass das Gericht dies so sehen könnte und gerade die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kritisch ist, war uns bereits im Vorfeld bewusst. Die Darstellung, dass ein einfacher Nutzer unmittelbar und gegenwärtig durch ein Gesetz in seinen Grundrechten betroffen ist und gerade eine Entscheidung des BVerfG zum Schutz dieser Rechte notwendig ist, ist ganz allgemein schwierig. Es kommt erschwerend hinzu, dass hier ein Gesetz angegriffen wurde, das nie angewendet worden ist, weshalb streng genommen auch nie jemand betroffen war. Diese Aspekte haben wir im Vorfeld ausgiebig und auch kontrovers diskutiert. In Kenntnis des Riskos haben wir uns dennoch entschlossen, die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG zu wahren, weil nach Ablauf dieser Frist nur noch ein Vollzugsakt angegriffen werden kann und nicht mehr unmittelbar das Gesetz selbst.

Das Gericht erwähnt in seinem Beschluss außerdem die Vorschrift des § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und gibt damit zu erkennen, dass zunächst der Rechtsweg hätte ausgeschöpft werden müssen, sprich zuerst Klagen bei den Verwaltungsgerichten zu erheben sind und dort notfalls der Gang durch die Instanzen anzutreten ist. Damit hält das Gericht eine unmittelbare Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz - zumindest mit diesen Beschwerdeführern - nicht für möglich.

Ganz generell sollte man wissen, dass Verfassungsbeschwerden grundsätzlich einer Annahme durch das Bundesverfassungsgericht bedürfen und nur in den Fällen die § 93a BVerfGG nennt, eine solche Annahme auch stattfindet. Das führt dazu, dass im Bereich des Ersten Senats des Gerichts ca. 95 % der Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen werden. Die Annahmepraxis des BVerfG ist also äußerst restriktiv, die Nichtannahme stellt den statistischen Normalfall dar.

Für die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Bündnis '90/Die Grünen und der SPD in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat der AK Zensur heute an beide Parteien appelliert, sich in ihrem Koalitionsvertrag klar gegen Internetsperren und Zensur auszusprechen und damit den Weg für eine moderne Netzpolitik auf Landesebene zu ebnen.

Der Brief des AK Zensur an die beteiligten Verhandlungsführer im Volltext:

Sehr geehrter Herr Kretschmann, sehr geehrter Herr Schmid,
sehr geehrter Herr Beck, sehr geehrter Herr Köbler, sehr geehrte Frau Lemke,

der Regierungswechsel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bietet die Chance, neue Akzente in der Netzpolitik des Landes zu setzen. Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) möchte Sie dabei darin bestärken, die auf Bundesebene bei GRÜNEN und SPD diesbezüglich erreichten Fortschritte auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fortzuführen. Wir bitten Sie daher, die Ablehnung von Netzsperren und Zensur ausdrücklich in Ihren Koalitionsvertrag aufzunehmen.

Mit den Stimmen oder auf Initiative Ihrer Landesregierung darf es keinen Aufbau einer Zensur-Infrastruktur geben!

Denn egal, ob es mit dem Kampf gegen Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern („Kinderpornographie“), illegalem Glücksspiel oder zur Stärkung von Urheberrechten begründet wird oder ob andere Ziele verfolgt werden: Das Aufstellen von „Stopp-Schildern“, „Legalitätsweichen“ oder gar die „Blockade“ des Transports von Datenpaketen bedeutet zwangsläufig immer den Aufbau einer technischen Kontrollinfrastruktur, die ein hohes Missbrauchspotential trägt. Gleiches gilt für die Versendung von „Warn-Hinweisen“. Unter veränderten politischen Vorzeichen können diese Infrastruktur und Maßnahmen sofort für Zensur und Meinungskontrolle im Internet verwendet werden. Diese Technik lässt sich niemals hinreichend sicher auf das ursprüngliche politische Ziel begrenzen.

Es ist unerheblich, ob eine solche Infrastruktur in Folge eines Gesetzes wie des Zugangserschwerungsgesetzes, des Glücksspielstaatsvertrag, des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags oder zur Durchsetzung von Urheberrechtsansprüchen von den Internet-Providern zwangsläufig geleistet werden müsste oder aber auf Basis einer mehr oder weniger „freiwilligen“ Verpflichtung errichtet wird. Zensur darf in einem demokratischen Rechtsstaat niemals ein geeignetes Mittel zur Erreichung selbst von legitimen Zielen sein.

Eine technische Zensur-Infrastruktur ist ein Instrument mit bedrohlicher Wirkung auf die Meinungs- und Informationsfreiheit. Das gilt umso mehr, als dass mit Sperren lediglich eine symbolische Wirkung erzielt werden kann und zwar unabhängig davon, mit welcher Intention diese ursprünglich eingerichtet wurden. Probleme müssen immer an der Wurzel angegangen werden. Technik und technische Eingriffe können keine Lösung für soziale Probleme sein. Kontrollierende und inhaltlich wertende Eingriffe in eine technologisch neutrale Infrastruktur sind eine Gefahr für den freiheitlichen Rechtsstaat.

Die Errichtung einer solchen Infrastruktur darf die von Ihnen geführte Landesregierung – egal mit welcher Begründung – nicht fordern, befördern oder unterstützen. Darauf sollten Sie sich verbindlich im Koalitionsvertrag verständigen.

Die Regelungen des bisherigen Jugendmedienschutz-Staatsvertrages sollten grundsätzlich überdacht werden.

Der seit 2003 geltende Jugendmedienschutz-Staatsvertrag macht den Versuch, die im Rundfunk etablierten Mechanismen zum Jugendschutz auf das Internet zu übertragen. Die Diskussion um die gescheiterte Novelle im letzten Jahr hat gezeigt, dass dies in weiten Teilen aber nicht funktioniert und auf breite Ablehnung im Netz stößt. Daher wünschen wir uns eine grundlegende Diskussion über die Ziele, Methoden und Maßnahmen des Jugendschutzes im Internet ebenso wie eine Abwägung mit den grundgesetzlich garantierten Kommunikationsfreiheiten.


Sehr gerne stehen wir Ihnen für Ihre Fragen, weitere Erläuterungen und Diskussionen jederzeit zur Verfügung. Wir freuen uns sehr, wenn Sie unserer Empfehlung entsprechend ein klares politisches Bekenntnis in den Koalitionsvertrag aufnehmen.

Mit freundlichen Grüßen,
Alvar C.H. Freude für den AK Zensur

Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) und der Chaos Computer Club (CCC) warnen vor dem neuen Glücksspielstaatsvertrag, der zur Zeit abseits der Öffentlichkeit verhandelt wird. Der dem CCC zugespielte Entwurf des Staatsvertrages macht deutlich, dass die Ministerpräsidenten der Bundesländer erneut über die Einführung von Internetsperren nachdenken. Der Arbeitskreis fordert die Ministerpräsidenten der Länder auf, umgehend den Stand der Verhandlungen offenzulegen und die Zivilgesellschaft zu beteiligen.

„Wir erleben hier einen weiteren Versuch, eine Zensurinfrastruktur in Deutschland aufzubauen. Diesmal kommt er unter dem Deckmäntelchen der Prävention von Glücksspielsucht, wahrscheinlicher ist jedoch die Furcht vor Steuereinnahmeverlusten durch ausländische Glücksspielseiten“, erklärt Benjamin Stöcker, Mitglied im AK Zensur. „Damit wird dem freien Zugang zu Informationen im Netz der Kampf angesagt. Dabei dachten wir, die Politik hätte aus den Debakeln beim Jugendmedienschutzstaatsvertrag und dem Zugangserschwerungsgesetz gelernt.“

Welche Sperrtechnik zum Einsatz kommen soll, ist dem Entwurf nicht eindeutig zu entnehmen. Es besteht aber Grund zur Befürchtung, dass die Eingriffe diesmal noch über die geplanten Stoppschilder des Zugangserschwerungsgesetzes hinausgehen sollen. Denkbar ist, dass die Zugangsprovider zu Sperren auf IP-Adress-Ebene oder gar einer sogenannten Deep Packet Inspection – und damit der Überwachung des gesamten Netzverkehrs – genötigt werden sollen. Dies wären Techniken, wie sie sonst nur in China und anderen totalitären Regimes zum Einsatz kommen.

"Auch nach den monatelangen Debatten über Netzsperren und dem politischen Scheitern dieser technisch kontraproduktiven und die Demokratie gefährdenden Maßnahmen hat offenbar noch immer kein Umdenken in den Staatskanzleien der Länder eingesetzt. Stattdessen wird eine erstaunliche Lernresistenz an den Tag gelegt und dem längst verwesenden Pferdekadaver namens 'Netzsperren' ein neues Sättelchen angelegt", sagte CCC-Sprecher Dirk Engling.

Der AK Zensur fordert die Ministerpräsidenten der Länder auf, umgehend den aktuellen Verhandlungsstand des Staatsvertrages zu veröffentlichen und klarzustellen, mit welchen technischen Maßnahmen die Sperrforderung im aktuellen Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages durchgesetzt werden soll. Außerdem soll eine angemessene gesellschaftliche Debatte über geplante DNS-Manipulationen und eine kritische Beteiligung der Zivilgesellschaft bei den Verhandlungsrunden statt der Kungelrunden hinter verschlossenen Türen ermöglicht werden.

Wörtlich steht im Entwurf vom 3. Dezember 2010 im § 9 Absatz 5, die Glücksspielaufsicht könne

Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die verantwortliche Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird durch Satz 1 eingeschränkt. Hierdurch sind Telekommunikationsvorgänge im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen.

 

 

 

(Veröffentlichung honorarfrei)

 

Aussender:

Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur)

http://ak-zensur.de/

 

Pressekontakt: 

presse@ak-zensur.de

Alvar Freude, Tel. (01 79) 13 46 47 1

Dominik Boecker (01 63) 2 86 07 44; boecker@rechtsanwalt-boecker.de

 

Chaos Computer Club
Pressekontakt CCC:
presse@ccc.de

 

Über den Arbeitskreis gegen Internetsperren (AK Zensur)

Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) ist ein überparteilicher Zusammenschluss verschiedener Online-Bürgerrechtsorganisationen, Internet-Aktivisten, Netzpolitiker, Juristen, Medienwissenschaftler, Medienpädagogen und Techniker.

Ursprünglich als Bündnis gegen die Pläne zur Einführung von Internetsperren und das Zugangserschwerungsgesetz gegründet, beschäftigt sich der AK Zensur auch mit verwandten Themen wie Internet-Filtern („Jugendschutzprogrammen“) und dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag.

 

Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) begrüßt die am Dienstag Abend bekannt gewordenen Pläne des Koalitionsausschusses von CDU/CSU und FDP, das als verfassungswidrig eingeschätzte Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben.

Die formelle Aufhebung des Gesetzes ist nach Ansicht des Arbeitskreises der einzig rechtstaatlich saubere Schritt das Gesetz vollständig zu den Akten zu legen und den Aufbau einer Zensur-Infrastruktur zu verhindern. Bisher ist das Gesetz, das erstmals gesetzlich eine Zensur-Infrastruktur vorschreibt, per umstrittenem Erlass lediglich ausgesetzt. Die Bundesregierung muss nun umgehend das Aufhebungsgesetz vorlegen, erst danach ist eine endgültige Bewertung möglich.

Die Löscherfolge von eco und die Ergebnisse des BKAs, wie auch Untersuchungen des AK Zensur, hatten in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass "Löschen statt sperren" in der Praxis funktioniert. Der Arbeitskreis freut sich, dass sich diese Position durchgesetzt hat und sich nun alle Parteien im Bundestag gegen Netzsperren aussprechen.

 

Eine Übersetzung des Aufrufs von Jérémie Zimmermann and Philippe Aigrain von "La Quadrature du Net".

 

Morgen, am 6.4.2011, findet ein Treffen der Europäischen Kommission statt, auf der über die Zukunft der europäischen Urheberrechtspolitik entschieden wird. Diese Richtungsbestimmung findet unter Umständen statt, die aus demokratischer Sicht äußerst besorgniserregend sind und wesentliche Grundrechte einem Risiko aussetzen - besonders im Hinblick auf das Internet.