Demokratie leben

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Ihr glaubt doch nicht, in einer Mailingliste Basisdemokratie realisieren zu können.

Dieser kluge Satz entstammt einer Diskussion, auf der es wirklich heiß herging. Und er ist wahr. Doch der AK Zensur ist weit mehr als eine Mailingliste. Er hat eine Größe erreicht, bei der das Thema Demokratie auch intern wichtig wird.

Einige Mitglieder haben eine Relevanz in der Internet-Welt, die respekteinflößend ist. Jedenfalls sehe ich das so. Was solche Schwergewichte sagen, das ist fast ein Gesetz. Man widerspricht nicht einfach so.

Und sie haben entschieden. Oh nein, wir haben entschieden. Wir wagen das Experiment. Unser demokratischer Ansatz heißt: Tu es, stell dich deiner Verantwortung und setz dir den Hut auf. Nun, dies haben andere auch schon versucht. Die resultierenden Grabenkämpfe und Schlammschlachten haben wir bitter erfahren. Doch wenn ausgerechnet wir Meinungen unterdrücken wollten, das wäre wohl vollkommen absurd. Wir halten das aus.

Das hat Konsequenzen. So könnt ihr dies hier lesen. Jeder Aktivist des AK Zensur kann, wenn er darum bittet, Artikel veröffentlichen. Er muss sich nur der Regel oben stellen. Ihr werdet also widersprüchliche Dinge lesen. Der gesamte AK wird verantwortlich gemacht werden für die Meinung eines Einzelnen. Wir werden diese Verantwortung tragen. Wir werden es hundertmal erklären müssen. Die unmöglichsten Aussagen wurden im Namen des AK Zensur gemacht, von Leuten mitunter, die wir nicht einmal kennen. Wir können nur für die Aussagen um Entschuldigung bitten, die wir gar nicht getan haben. Da ist es doch selbstverständlich, wenigstens unseren Mitgliedern eine freie Stimme zu ermöglichen. Ganz nebenbei dürft ihr kommentieren. Wir erfahren, was ihr denkt. Wir vertrauen darauf, dass ihr das Gröbste schon regeln werdet.

Das hat nicht primär etwas mit Demokratie oder gar Anarchie zu tun. Es hat damit zu tun, dass wir endlich das Mittelalter hinter uns lassen müssen. Verantwortlich kann nur der sein, dem man Verantwortung überlässt. Entzogene Verantwortung erzeugt Ohnmacht, bestenfalls Nichtstun. Dürfen wir unsere Verantwortung nicht mehr übernehmen, so ist letztlich egal, was wir tun. Wir sind ja nicht verantwortlich.

Nazi-Seiten? Wer nicht verantwortlich ist, der schaut einfach weg. Mancher wünscht sich gar ein Stoppschild davor, so sehr graut es ihn, die Realität zu sehen. Ich höre schon: "Was ist mit den Kindern bei all dem Schmutz, der Pornographie im Internet?" Zunächst einmal sind wir, du und ich, dafür verantwortlich! Würde sich niemand dafür interessieren, so gäbe es das nicht. Es ist die Realität unserer Gesellschaft, die Folge der Erziehung durch unsere Eltern. Was also tun? Was ist so schwer daran, sein Kind auf den Schoß zu nehmen und ihm die ganze Irrelevanz zu zeigen? Es ist so irrelevant, dass meine Tochter eigentlich keinen Bock darauf hatte. Was interessiert sie schon ein nackter Busen oder ein Penis? Jedenfalls bei Eltern, die sich noch trauen, ein Kind, das sich das Knie blutig geschlagen hat, auf offener Straße zu trösten.

Ich will nichts verharmlosen. Das ist nichts, was man einfach so mal tut. Das ist eine ernste Sache. Kinderseelen sind zerbrechlich. Der Vorwurf der Generation Porno, der kommt hier sicher. Und morgen ist das Jugendamt da, meint, ich ließe meine Kinder Pornos schauen, und examiniert das Haus? Ich denke, wir werden ein sehr langes Gespräch über Medienkompetenz, Rückgrat und starke Kinder führen. Ich werde ihnen sagen, dass diese Kinder ein Produkt der Liebe sind.

Wer verantwortlich sein darf, der tut etwas. Der schreibt in Nazi-Foren und wird prompt zensiert oder muss darüber nachdenken, was nun die Konsequenzen sind. Da interessiert sich schon einmal die Polizei dafür, was angesichts drohender Schlägertrupps der Betonköpfe noch der harmlose Fall wäre.

Wer verantwortlich ist, der kehrt die Straße hinter ihren Aufmärschen. Ich setze mich nach getaner Arbeit zu Beppo auf die Parkbank, um ihm seinen Besen zurückzubringen, ein Schwätzchen zu halten. Gerade kommt der Nachbar vorbei. Ich grüße freundlich und denke an den Vortrag, den er mir über Ausländer, Penner, Stoppschilder und Demokratie gehalten hat. Er schaut nur starr geradeaus, an uns vorbei. Beppo sagt lange nichts. Ich kenne seinen Gedanken. Es braucht keine Worte mehr.

Demokratie in einer Mailingliste? Macht euch nicht lächerlich. Demokratie muss man leben.

Joachim Bellé, 6.11.2009

 

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1 Kommentar

"Verantwortlich kann nur der sein, dem man Verantwortung überlässt."

Oh nein. Verantwortlich ist, wer etwas tut (oder nicht tut, je nach Situation). Hat nichts damit zu tun, ob ihm "jemand" die Verantwortung überlassen hat. Verantwortlich ist jeder selbst, für sein eigenes Tun. Und die Verantwortung ist unteilbar.

Was hat ein aufgeschlagenes Knie mit dem Schauenlassen von Pornographie zu tun? Geschwurbel. Das ist altersabhängig. Die Kinder waren gewiss nicht älter als 10.

Zum Thema Basisdemokratie siehe auch http://u.nu/9sk94. Nicht jedes Werkzeug passt auf jedes Problem.

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