Jugendschutz im Internet: Zurück in die Vergangenheit

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Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur warnt vor der geplanten Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV). 

Die Bundesländer beabsichtigen die Regeln zum Jugendschutz im Internet – den Jugendmedienschutzstaatsvertrag, JMStV – zu ändern. Betreiber von Webseiten sollen zukünftig ihre Seiten nach Alterstufen „ab 12 Jahren“ bzw. „ab 18 Jahren“ kennzeichnen. Zusätzliche Pflichten neben der Alterskennzeichnung haben dem Entwurf zufolge Seitenbetreiber, deren Nutzer Inhalte hinzufügen oder ändern können, zum Beispiel Leserkommentare bei Nachrichtenseiten, in Blogs oder Diskussionsforen. Der Betreiber muss dann, anders als derzeit, die Kommentare überwachen und nicht zur Alterskennzeichnung passende Inhalte löschen. Zudem soll der Betreiber der Webseite zukünftig verpflichtet werden, sich den Regelungen einer Einrichtung der „freiwilligen Selbstkontrolle“ zu unterwerfen. Ziel der Änderungen des JMStV ist es, die nach Alterstufen erfolgende Filterung des Internets durch Jugendschutzprogramme zu erleichtern.

Rechtsanwalt und Blogger Thomas Stadler vom Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) kritisiert dieses Vorhaben grundsätzlich: „Es ist ein gefährlicher Weg zurück in die Vergangenheit, den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz dem trügerischen technischen Mittel eines Internetfilters anzuvertrauen.“ Der AK Zensur erinnert daran, dass ein entsprechender Entwurf des JMStV bereits im Jahre 2010 spektakulär gescheitert war. „Es ist ein Irrglaube, man könne Kinder vor nicht altersgerechten Inhalten im Netz durch das technische Mittel eines Internetfilters schützen. Die Erfahrung lehrt“, so Stadler weiter, „dass Internetfilter technikbedingt immer fehlerhaft sind und einerseits zuviel blockieren, anderseits auch tatsächlich jugendgefährdende Inhalte durchlassen.“ Stadler verweist zudem darauf, dass Kinder und Jugendliche sehr wohl über die Fähigkeit verfügen, Internetfilter zu umgehen oder sich Inhalte anderweitig zugänglich zu machen. „Eltern schenken deshalb Jugendschutzprogrammen zurecht kein Vertrauen.“ Darin sieht der AK Zensur auch den wesentlichen Grund für die geringe Verbreitung von Jugendschutzprogrammen: „Die meisten Eltern wissen, dass es nicht sinnvoll ist, den eigenen Kindern die Augen vor der Welt zu verschließen.“ Statt das Internet mit Jugendschutzprogrammen zu filtern, müssten Kinder und Jugendliche vielmehr frühzeitig den richtigen Umgang mit dem Internet lernen und von ihren Eltern begleitet werden. 

Der Entwurf des  neuen JMStV wird zur Zeit im Rahmen einer öffentlichen Konsultation beraten. Alvar Freude vom AK Zensur zeigt sich jedoch auch hinsichtlich des Verfahrens skeptisch: „Wir hoffen, dass die Länder die Bürgerbeteiligung ernst meinen und nicht nur der interessierten Netzöffentlichkeit ein Beruhigungsmittel verabreichen wollen. Wir erwarten daher, dass das Verfahren ergebnisoffen ist und die berechtigte grundsätzliche Kritik an dem technischen Mittel der Internetfilter und Alterskennzeichnungen berücksichtigt wird.“

Freude kritisiert zudem die von den Ländern gewählte Art der Online-Konsultation: „Die wichtigen Fragen werden leider gar nicht gestellt! Was soll das Ziel des Jugendschutzes im Internet sein? Wie soll man dem Internet als Kommunikationsmedium gerecht werden? War der bisherige Ansatz überhaupt der richtige? Was kann und soll der Gesetzgeber im Jugendschutz bei Mobbing, Abzocke und Datenschutz leisten?“

 

Aussender:
Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur)

http://ak-zensur.de/

 

Pressekontakt: 
presse@ak-zensur.de
Alvar Freude, Tel. (07 11) 50 70 825; (01 79) 13 46 47 1

 

Über den Arbeitskreis gegen Internetsperren (AK Zensur)

Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) ist ein überparteilicher Zusammenschluss verschiedener Online-Bürgerrechtsorganisationen, Internet-Aktivisten, Netzpolitiker, Juristen, Medienwissenschaftler, Medienpädagogen und Techniker.

Ursprünglich als Bündnis gegen die Pläne zur Einführung von Internetsperren und das Zugangserschwerungsgesetz gegründet, beschäftigt sich der AK Zensur auch mit verwandten Themen wie Internet-Filtern („Jugendschutzprogrammen“) und dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag.

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5 Kommentare

Hallo Alvar,

in weiten Teilen sehe ich das ebenso, allerdings kann ich mich diesem Passus nicht anschließen:

„Die meisten Eltern wissen, dass es nicht sinnvoll ist, den eigenen Kindern die Augen vor der Welt zu verschließen.“ Statt das Internet mit Jugendschutzprogrammen zu filtern, müssten Kinder und Jugendliche vielmehr frühzeitig den richtigen Umgang mit dem Internet lernen und von ihren Eltern begleitet werden.

1. Die meisten Eltern nutzen keine Jugendschutzprogramme, weil sie schlicht keine Ahnung haben, welche problematischen Inhalte sich im WWW kinderleicht ergoogeln lassen. Das ist eine eindeutige Erkenntnis meiner über 10jährigen Elternarbeit in diesem Bereich. Zudem sind die kostenlosen deutschen Filterprogramme grottenschlecht programmiert.

2. Man kann Kinder- und Jugendschutz unmöglich in einen Topf werfen! Kindern muss man aus meiner Sicht, auch als Vater, unbedingt(!) die Augen vor einem bestimmten Teil der Welt verschließen, weil es Inhalte im Netz gibt (Pornografie, Gewalt, sexuelle Übergriffe), die übelste nachhaltige Einschläge in kindlichen Psychen hinterlassen können. Die Alternative zum Filtern per Whitelist ist ein mitsurfendes Elternteil, ungebremstes Internet für Kinder ist m.E. mindestens grob fahrlässiges Erziehungsverhalten. Kinder sind auch in den wenigsten Fällen in der Lage, Filterprogramme zu umgehen.
Bei Jugendlichen sind Filterprogramme aus den obengenannten genannten Gründen weitestgehend sinn- und wirkungslos, da schließe ich mich an. Filterung per Blacklist erreicht eine Trefferquote von maximal 80 %, die Tricks zum Umgehen solcher Sperren sind Allgemeinwissen und schließlich gibt es Internet ja nicht nur zuhause. Wer an bestimmte Inhalte herankommen will, kann daran nicht wirksam gehindert werden.

3. Über 80% der Eltern sind nicht in der Lage, ihren Kindern den kompetenten Umgang mit dem Internet zu vermitteln, und auch an den Schulen herrscht diesbezüglich ein eklatantes Defizit, weil auch das Gros der Lehrkräfte nicht über die dafür notwendigen Kompetenzen verfügt. In der Lehreraus- und Weiterbildung spielt Medienkompetenz nach wie vor keine Rolle

Beste Grüße
Günter Steppich

P.S.: Dieses aktuelle Video eines meiner Elternabende zum Thema Medienerziehung transportiert meinen Standpunkt:
https://www.youtube.com/watch?v=z4rG_9_sqKc

Dieser Passus war gemeint, wurde im Kommentar oben entfernt:

„Die meisten Eltern wissen, dass es nicht sinnvoll ist, den eigenen Kindern die Augen vor der Welt zu verschließen.“ Statt das Internet mit Jugendschutzprogrammen zu filtern, müssten Kinder und Jugendliche vielmehr frühzeitig den richtigen Umgang mit dem Internet lernen und von ihren Eltern begleitet werden.

Der Block wurde als (falscher) HTML-Tag erkannt und daher von der Blog-Software entfernt; habe es entsprechend angepasst.

Hallo Günter,

Die meisten Eltern nutzen keine Jugendschutzprogramme, weil sie schlicht keine Ahnung haben, welche problematischen Inhalte sich im WWW kinderleicht ergoogeln lassen.

Es gibt aber auch viele, die sich bewusst dagegen entscheiden. Und natürlich lässt sich vieles absichtlich und so manches unabsichtlich ergooglen, keine Frage. Nur: um insbesondere kleinere Kinder zu verwundern, reicht es schon wenn sie die Ergebnisliste sehen. Und man darf sich nicht der trügerischen Illusion hingeben, dass das mit Filtern anders wäre. Unsere quasi-staatlich „anerkannten“ Filter lassen auch viele der entsprechenden Seiten passieren.

Ich möchte auch niemandem verbieten, Filter einzusetzen. Wer das machen will, darf das tun – sollte sich aber bewusst sein, welche Probleme das mit sich bringt und wo die grenzen liegen. Zumal es im Netz weitaus mehr bedenkliche tatsächliche Risiken gibt, die solche Filter nicht beherrschen. Man sollte nicht glauben, dass man mit einem Filter das Kind gefahrlos vor dem Rechner parken kann. Das gilt m.E. auch für die bei FragFinn erhältlichen Inhalte, beispielsweise den Tagestipp vom 23.3. möchte ich meiner Tochter nicht zumuten, aber das mag natürlich jeder selbst entscheiden.

Zudem sind die kostenlosen deutschen Filterprogramme grottenschlecht programmiert.

Dem widerspreche ich nicht, im Gegenteil! Zwar habe ich mir nur die beiden von der KJM anerkannten genauer angeschaut, aber die sind eine einzige Katastrophe und es ist mir nicht klar, wie man so etwas eine „Anerkennung“ geben kann. Die Lobbyarbeit der entsprechenden Akteure war da sicherlich nicht hinderlich.

Man kann Kinder- und Jugendschutz unmöglich in einen Topf werfen!

Ja, aber es ist der JMStV, der alles in einen Topf wirft!

Ob Filter bei Kindern ein sinnvolles Mittel sind, das muss jede Familie für sich selbst entscheiden. Und das hat natürlich auch etwas damit zu tun, wie die jeweiligen Verhältnisse sind. Zum Beispiel: sind die Kinder häufig alleine? Was machen sie üblicherweise am Rechner, wo steht der Computer?

Beim JMStV entscheidet das der Staat. Aber unter dem Strich bietet er den Eltern keine wirkliche Hilfe, sondern er drangsaliert diejenigen, die aktiv dazu beitragen, dass das Internet ein interessantes Kommunikationsmedium ist und kein langweiliger Distributionskanal. Der JMStV würde bei Apples Appstore oder beim guten alten BTX vielleicht passen. Er passt auch bei den Online-Angeboten der Telekom, von Videoload über Gamesload bis hin zur Erotik Lounge. Und insgeheim wünschen sich manche Menschen ja ein solches Internet: etwas BTX, etwas Apple Appstore, etwas Erotik Lounge. Da klappt's dann auch mit dem „Jugendmedienschutz“ à la JMStV …

Dass Google bei einem Filter per Whitelist für Kinder gesperrt sein muss, ist klar, schon wegen der Vorschau in der Bildersuche.

Eindeutiges Ergebnis meiner Elternarbeit ist aber auch, dass sich weitaus mehr Eltern aus Unkenntnis überhaupt keine Gedanken über die Nutzung digitaler Geräte machen, als sich am anderen Ende der Skala bewusst gegen bestimmte Kontrollmechanismen entscheiden. Und wir reden da von einem Verhältnis von ca. 80:20. Um die 20 % mache ich mir wenig Sorgen, die 80 % brauchen dagegen dringend digitale Nachhilfe!

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