Zu den heute bekannt gewordenen Fällen neuer Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf, die auf die Blockade der Websites "bwin.com" und "tipp24.com" gerichtet sind, erklärt der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur:
Für Sperrungsanordnungen gegen Zugangsprovider bietet der geltende Glücksspielstaatsvertrag keine ausreichende Rechtsgrundlage. Der Vertrag sieht in § 9 Abs. 1 Nr. 5 vor, dass die Glücksspielaufsicht "Diensteanbietern im Sinne von § 3 Teledienstegesetz, soweit sie nach diesem Gesetz verantwortlich sind, die Mitwirkung am Zugang zu unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen" kann. Access-Provider werden aber nach § 8 TMG ausdrücklich als "für fremde Informationen [...] nicht verantwortlich" qualifiziert. Sie erfüllen also nicht die Voraussetzung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 GlüStV und sind deshalb kein geeigneter Adressat behördlicher Sperrverfügungen.
Gegen Sperrungsanordnungen bestehen aber ganz allgemein erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, u.a. deshalb, weil eine zielgenaue Blockade von Inhaltsangeboten auf der Ebene der Zugangsprovider nicht möglich ist und derartige Sperren daher zwangsläufig dazu führen, dass andere Inhaltsangebote in Mitleidenschaft gezogen und mitgesperrt werden (Overblocking).
Der AK Zensur ist der Ansicht, dass von Access-Sperren stets eine Gefahr für die Informationsfreiheit der Bürger ausgeht, zumal auch Informationen aus rechtswidrigen Quellen vom Schutzbereich der Informationsfreiheit umfasst werden (BVerfG, Az.: 1 BvR 46/65). Nicht zuletzt deshalb stellt die Blockade von Inhalten insbesondere im Bereich der Glücksspielaufsicht keinen konstruktiven Regulierungsansatz dar.
Zudem wirkt es schizophren, dass einerseits mit Hinweis auf die mögliche Spielsucht der Teilnehmer ausländische Anbieter wiederholten Angriffen der staatlichen Monopolgesellschaften und hoheitlichen Aufsichtsbehörden ausgesetzt sind, dieselben Behörden aber über die Verstöße der staatlichen Anbieter hinwegsehen. Die Verfolgung dieser Verstöße der Gesellschaften des Deutschen Lotto- und Totoblocks wird regelmäßig den ausländischen Anbietern überlassen, die wiederholt erfolgreiche wettbewerbsrechtliche Verfahren gegen unlautere Handlungen der Blockgesellschaften führen mussten (vgl. Bundesgerichtshof I ZR 149/08 oder auch Landgericht München, Az.: 17 HK O 2564/09, Oberlandesgericht Schleswig, Az.: 6 U 14/09, Oberlandesgericht Hamm, Az.: 4 U 198/09, Oberlandesgericht Koblenz, Az.: 9 U 889/09, Oberlandesgericht Brandenburg, Az.: 6 U 103/08 und viele andere mehr). Im Angesicht dieser Inkohärenz des staatlichen Handelns im Bereich der Glücksspielregulierung erscheinen die Ambitionen, in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugelassene und staatlich kontrollierte Anbieter zu sperren, unverhältnismäßig.
Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Rs.: C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07 und C-410/07), nach der die Ausgestaltung der deutschen Regelungen im Bereich des Glücksspielrechts gegen europäische Normen verstößt. In der Pressemeldung des Gerichts vom 08.09.2010 heißt es dazu (wörtlich und mit Hervorhebungen): "Gleichwohl haben die deutschen Gerichte nach Ansicht des Gerichtshofs angesichts der von ihnen in den vorliegenden Rechtssachen getroffenen Feststellungen Grund zu der Schlussfolgerung, dass die deutsche Regelung die Glücksspiele nicht in kohärenter und systematischer Weise begrenzt. Zum einen führen nämlich die Inhaber der staatlichen Monopole intensive Werbekampagnen durch, um die Gewinne aus den Lotterien zu maximieren, und entfernen sich damit von den Zielen, die das Bestehen dieser Monopole rechtfertigen. Zum anderen betreiben oder dulden die deutschen Behörden in Bezug auf Glücksspiele wie Kasino- oder Automatenspiele, die nicht dem staatlichen Monopol unterliegen, aber ein höheres Suchtpotenzial aufweisen als die vom Monopol erfassten Spiele, eine Politik, mit der zur Teilnahme an diesen Spielen ermuntert wird. Unter diesen Umständen lässt sich das präventive Ziel des Monopols nicht mehr wirksam verfolgen, so dass das Monopol nicht mehr gerechtfertigt werden kann.".
Der Gesetzgeber ist aufgerufen, ein angemessenes und in sich schlüssiges neues Regelungswerk zu schaffen. Darin muss er sowohl den Belangen der Teilnehmer als auch den Interessen zumindest auf Seiten der inländischen und europäischen Anbieter gerecht werden, während er gleichfalls unabdingbar die Stellung und Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte zu achten hat.
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