Nach einem Vorschlag von Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Innenpolitik, sollen alle EU-Länder eine Sperr-Infrastruktur im Internet aufbauen. Damit sollen Webseiten, die den Missbrauch von Kindern darstellen, blockiert werden. Wir warnen vehement vor dem Versuch, derartige Zensur-Infrastrukturen nun auf europäischer Ebene vorzuschreiben.
Generell muss es darum gehen, Abbildungen von sexuellem Kindesmissbrauch aus dem Internet zu entfernen und die Täter zu verfolgen, statt diese Inhalte zu verstecken und die Täter damit zu schützen. Internet-Sperren sind Unfug, denn das Löschen der Dateien ist weltweit möglich. Die Strafverfolgung der Täter muss im Sinne der Opfer vorangetrieben werden.
Die Webseiten auf den bisher bekannt gewordenen Sperrlisten kommen ausschließlich aus den Ländern, welche die UN-Kinderrechtskonvention oder das Zusatzprotokoll gegen Kinderpornografie unterzeichnet haben – im Wesentlichen aus den USA und Westeuropa einschließlich Deutschland.
Cecilia Malmström irrt, wenn sie ernsthaft glaubt, man könne „die dunklen Ecken des Internets“ dadurch aufräumen, dass man nur ein Stoppschild davor aufbaut und damit ein Mäntelchen des Schweigens über derartige Taten legt. Statt auf kurzfristige populistische Lösungen zu setzen, wäre es gerade Aufgabe der europäischen Behörden, im Rahmen einer weltweiten Zusammenarbeit dafür zu sorgen, dass derartige Inhalte schnell, dauerhaft und nachhaltig aus dem Internet entfernt und die Täter verurteilt werden. Der Versuch, Missbrauchsdarstellungen mit Internet-Sperren zu blockieren, ist auch als flankierende Maßnahme kontraproduktiv.
Wir bedauern, dass die EU-Kommissarin die in Deutschland von Ursula von der Leyen gewählte und inzwischen von allen Parteien als falsch anerkannte Strategie fortsetzen will. Wir appellieren an die Bundesregierung, ihren in Deutschland eingeschlagenen Weg, die internationale Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden zu verbessern und deren Kooperation mit Meldestellen wie INHOPE zu forcieren, auch im europäischen Kontext fortzuschreiben.
Malmströms Argument, „Bilder von Kindesmissbrauch können jedoch unter keinen Umständen als legitime Meinungsäußerung gelten“ ist eine Nebelkerze: keine der Bürgerinitiativen, die sich gegen Internet-Sperren wenden, will Kinderpornografie als freie Meinungsäußerung schützen. Netzsperren helfen nicht gegen die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen, können aber sehr leicht gegen missliebige Meinungsäußerungen eingesetzt werden.
Hintergrundinformationen und Materialien:
Warum die Blockade von Web-Seiten im Kampf gegen „Kinderpornografie“ im Internet der falsche Weg ist
Sexueller Missbrauch ist mit das Schlimmste, was einem Kind angetan werden kann. Gerade deswegen ist es wichtig, sich auf wirksame und verhältnismäßige Maßnahmen im Kampf gegen die Bilder und Videos des Missbrauchs (oft verharmlosend „Kinderpornografie“ genannt) zu konzentrieren. Blockaden im Internet, wie sie die Pläne von Cecilia Malmström oder das Zugangserschwerungsgesetz vorsehen, helfen nicht, das Ziel zu erreichen. Sie sind selbst als Ultima Ratio kontraproduktiv:
Frühwarnsystem
Betreiber einschlägiger Angebote können automatisiert prüfen, ob ihre Webseiten auf einer Sperrliste stehen, und somit feststellen, ob sie im Fokus der Ermittler stehen. Internet-Sperren sind daher ein Frühwarnsystem für Kriminelle.
http://ak-zensur.de/Netzsperren-Fruehwarnsystem.png
Die Sperrliste kann nicht geheim bleiben
Wer Access-Blocking einsetzt, publiziert damit quasi die Liste der betroffenen Seiten: Sobald Webseiten blockiert werden, lässt sich einfach abfragen, ob eine bestimmte Seite auf der Liste steht. Dadurch ist es mit relativ geringem Aufwand möglich, die Sperrliste herauszufinden. Dies ist keine Theorie, sondern wurde bereits praktiziert. Auch Pädophile könnten daher die Sperren nutzen, um entsprechende Inhalte zu finden.
Löschen ist weltweit möglich
Oft wird auch damit argumentiert, die Mehrheit der „kinderpornografischen“ Inhalte würde aus Staaten verbreitet, in denen eine Verfolgung der Täter nicht möglich sei. Dies ist erwiesenermaßen falsch. Alle Analysen zeigen: Die Mehrheit der Webseiten der bekannten Sperrlisten kommt aus den USA und Westeuropa inklusive Deutschland. Die häufigsten Server-Standorte laut einer BKA-Analyse einer Dänischen Sperrliste:
USA: 1148; Deutschland: 199; Niederlande: 79; Kanada: 57
Auf keiner Sperrliste anderer Länder befindet sich auch nur eine Webseite, die aus einem der sogenannten "Failed States" verbreitet wird, wie dies vom BKA öffentlich immer wieder behauptet wurde.
http://ak-zensur.de/download/Karte-Sperrlisten--AU-FI-CH--A4.pdf
http://blog.odem.org/2010/01/30/bka-antwort-spd-bulmahn.pdf
Löschen illegaler Inhalte ist schnell möglich
Eine Studie der Universität Cambridge zeigt, dass Banken es im Durchschnitt innerhalb von vier bis acht Stunden schaffen, Betrugs-Webseiten (sogenannte Phishing-Websites) zu löschen – weltweit. Wenn dies bei simplen Betrugs-Webseiten möglich ist, warum schaffen die Ermittlungsbehörden dies nicht bei den weltweit nicht nur verbotenen, sondern geächteten Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern?
http://www.cl.cam.ac.uk/%7Ernc1/takedown.pdf
Experiment zeigt: Löschen funktioniert
Ein Experiment von Alvar Freude vom AK Zensur hat gezeigt: Mit einer einfachen Nachricht per E-Mail an die Abuse-Abteilungen der betroffenen Hosting-Provider war es möglich, innerhalb von zwölf Stunden 61 Webseiten der einschlägigen Sperrlisten abzuschalten. Warum setzt man die Ermittler nicht dazu ein, sondern vergeudet deren Arbeitszeit mit der Aufstellung und Pflege von Sperrlisten?
http://ak-zensur.de/2009/05/loeschen-funktioniert.html
Umgehbarkeit
Internet-Sperren etablieren eine Zensur-Infrastruktur, die für beliebige Inhalte genutzt werden kann. Dies kennen wir sonst nur von autoritären Staaten wie China, dem Iran oder Saudi-Arabien. Diese Länder berufen sich schon jetzt zur Rechtfertigung ihrer Internet-Zensur auf europäische Staaten, die Internet-Sperren anwenden.
Zudem: Sperren sind leicht zu umgehen. Wer es schafft, die Inhalte zu finden, für den ist es ein Leichtes, jegliche Art von Sperren zu umgehen. Denn die Inhalte verbleiben im Netz und werden quasi nur versteckt!
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/03/27/internetsperre-umgehen-in-27-sekunden/
http://www.ccc.de/censorship/dns-howto/
Die Erfahrung mit ähnlichen Sperrsystemen in anderen Ländern zeigt, dass die öffentlich genannten Ziele damit nicht erreicht werden können. In allen Ländern mit bestehenden Sperrsystemen sind aufgrund fehlerhafter Sperrlisten auch Webseiten betroffen, die keine illegalen Inhalte verbreiten. In Australien landete die Webseite eines australischen Zahnarztes auf der Sperrliste, in Dänemark eine aus Deutschland betriebene islamistische Webseite, in Finnland ein finnischer Zensurgegner, in Italien werden Glücksspiel-Webseiten blockiert.
http://www.focus.de/digital/internet/internet-wirksamkeit-von-kinderporno-sperrungen-umstritten_aid_384900.html
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Australische-Internet-Sperrliste-in-der-Debatte-208289.html
http://www.heise.de/ct/artikel/Verschleierungstaktik-291986.html
http://blog.odem.org/2009/05/islam-website-aus-deutschland-auf-sperr-liste.html
https://scusiblog.org/?p=1728
Informationsfreiheit vs. Menschenwürde?
Die Verbreitung von „Kinderpornografie“ ist ein weltweit geächtetes Verbrechen, das man weltweit bekämpfen kann. Echte Verbrechensbekämpfung ist freilich mehr als das Aufstellen von Stoppschildern, die zudem kein echtes Hindernis darstellen. Der Grundsatz muss heißen: „Löschen und Täter verfolgen statt Inhalte verstecken und Täter schützen“.
es steht wohl zu befürchten, dass die Täter auch in den höchsten Ebenen sitzen und durch die Sperren geschützt werden sollen. Vom Löschen haben die ja dann nichts, also können sie das nicht vorschlagen. Leider muss man auch solche Annahmen berücksichtigen, weil sie sich schon allzuoft als wahr erwiesen haben.
Wie bei Netzpolitik.org nachgelesen werden kann, ist Frau Malmström zumindest per Webblog nicht daran gelegen, dass ein echter Meinungsaustausch mit EU-Bürgern stattfindet, stattdessen lässt ihr Umgang mit unliebsamen Ansichten qua Zensur erkennen, dass ihre Meinung zum Thema Netzsperren bereits feststeht und sie darüber hinaus auch Sympathien für dieses technische Instrument hegt.
Wobei immer noch interessant zu wissen zu sein dürfte, inwieweit Frau Malmström selbst Kontrolle über ihr Webblog hat und ob es möglicherweise Alternativmöglichkeiten gibt, ihr Argumente wie von MOGiS und AK Zensur erarbeitet, direkt zukommen zu lassen ...