Internet-Experten: SPD in NRW soll neue Jugendschutz-Regeln für das Web stoppen
Pressemeldung vom 24. November 2010
Über fünfzig Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, der „Netzgemeinschaft“ sowie Juristen, Journalisten und Netz-Künstler rufen in einem offenen Brief die SPD auf, der Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) ihre Zustimmung zu verweigern. In dem Brief an die SPD-Abgeordneten im Landtag von Nordrhein-Westfalen (PDF) führen die Unterzeichner inhaltliche, technische und juristische Schwachstellen des Staatsvertrags auf und erläutern seine Unwirksamkeit bezüglich des Jugendschutzes. Gleichzeitig weisen sie auf Alternativstrategien hin, mit denen die Politik den Jugendschutz im Internet verbessern und die Medienkompetenz aller Beteiligten steigern könnte.
Alle Länderparlamente müssen dem Staatsvertrag zustimmen. Dies ist in einigen Bundesländern bereits geschehen – in Nordrhein-Westfalen steht die Abstimmung im Dezember an. Der SPD in Nordrhein-Westfalen geht eine besondere Rolle zu: Die Unterzeichnung des Staatsvertrages fand durch den ehemaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers statt, aber in der Zwischenzeit regiert eine rot-grüne Minderheitsregierung. Vor der Landtagswahl im Frühjahr 2010 äußerten sich die Sozialdemokraten, ähnlich wie die Bündnisgrünen, in ihrem Wahlprogramm äußerst skeptisch zur Novelle des Staatsvertrags.
Die Neufassung des JMStV sieht vor, dass ab dem 1. Januar 2011 alle deutschen Webseiten mit einer Alterskennzeichnung versehen werden sollen. Dazu müssen alle Anbieter ihre Inhalte in die Altersstufen „ab 0“, „ab 6“, „ab 12“, „ab 16“ oder „ab 18 Jahren“ einstufen. Dies betrifft auch Blogs, private Webseiten sowie solche von Vereinen, Parteien oder kleinen Firmen. Für Inhalte unter 12 Jahren ist eine Kennzeichnung zwar freiwillig. Wer nicht kennzeichnet, riskiert aber, dass die Webseite in Schulen, Bibliotheken oder in Familien von Inhaltsfilter-Programmen blockiert wird. Inhalte, die 12-jährige Kinder in ihrer „Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen“ können, müssen entweder gekennzeichnet, auf nächtliche „Sendezeiten“ eingeschränkt oder mit einer Altersprüfung versehen werden.
Anbieter kennen zwar ihre Seiten, können sie aber trotzdem nicht unbedingt richtig einstufen. Ein Experiment des AK Zensur hat dies eindrucksvoll gezeigt: bis zu 80% der Alterseinstufungen lagen daneben. Darüber hinaus können Anbieter jugendgefährdender Inhalte durch eine bewusste Falschkennzeichnung die Filter umgehen – dies ist bei ausländischen Anbietern nicht sanktionierbar.
Alvar Freude, Mit-Autor des Briefes und Mitglied der Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages, kritisiert:
„Der vorliegende Staatsvertrag verbessert nicht den Jugendschutz, sondern bringt Erleichterungen für große Unternehmen: Beispielsweise können kommerzielle Filme, die eine Freigabe erst ab 16 Jahren haben und bisher erst abends oder mit persönlicher Altersverifizierung angeboten werden dürfen, mit einer einfachen Alterskennzeichnung nun auch tagsüber zugänglich gemacht werden. Erheblich erschwert wird statt dessen die Situation für Anbieter nicht jugendgefährdender Inhalte aller Art, die im Internet oft nicht-kommerziell veröffentlichen: sie müssen nicht nur alle ihre bisherigen Inhalte einstufen, sondern häufig auch Inhalte Dritter wie Leserkommentare kontrollieren und das rechtliche Risiko selbst tragen. Dies kann den sozialen und kulturellen Raum Internet schwer beschädigen und innovative Projekte zerstören.“
Der Medienpädagoge und Mitverfasser des Schreibens Jürgen Ertelt wundert sich über die Ferne der Befürworter des vorliegenden JMStV zu den eigentlichen Betroffenen:
„Jugendschutz verlangt heute die unmittelbare Einbeziehung der Eltern und Jugendlichen in sie betreffende Entscheidungsprozesse. Technische Filter und Anbieterkennzeichnungen können Erziehung nicht ersetzen. Eine medienpädagogische Begleitung könnte diese selbstbestimmte Auseinandersetzung im Sinne des Jugendschutzes professionell begleiten. Im neuen JMStV ist diese notwendige Leistung aber nicht vorgesehen.“
Henning Tillmann, Initiator des Briefes und Mitglied des Gesprächskreises „Netzpolitik und Digitale Gesellschaft“ des SPD-Parteivorstands, weist die Genossinnen und Genossen an Rhein und Ruhr auf die Netzpolitik der Partei hin:
„Die Bundespartei hat in den letzten Monaten einen progressiven Kurs in der Netzpolitik verfolgt. Es war richtig, dass sich die Partei u. a. vom Zugangserschwerungsgesetz ('Internet-Sperren', 'Zensursula'-Diskussion) distanziert hat. Andere Landesverbände haben den Staatsvertrag ebenso abgelehnt. Eine Zustimmung zum JMStV, den auch die NRWSPD im Frühjahr sehr kritisch sah, würde die aufkeimende Netzpolitik-Glaubwürdigkeit deutlich dämpfen.“
Über fünfzig Personen, darunter der Juso-Bundesvorsitzende Sascha Vogt, der Juso-Landesvorsitzende Veith Lemmen, Markus Beckedahl (Betreiber netzpolitik.org), Mario Sixtus (Journalist, Grimme-Online-Preisträger), Andreas Maurer (Leiter Social Media bei einem großen Internetprovider), Thomas Stadler (Blogger und Fachanwalt für IT-Recht) und die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete in NRW Cornelia Tausch schlossen sich der Kritik an, erweiterten und ergänzten den Brief.
Die Unterzeichner des Briefes sehen in einer Ratifizierung des neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrags eine erhebliche Gefährdung des Internets als freiheitliches und chancengleiches Kommunikationsmedium. So schließt der Brief mit dem Aufruf: „Wir bitten Sie, die Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags abzulehnen, wie es auch der Landesparteirat der Grünen seinen Landtagsabgeordneten empfohlen hat. Er würde mehr Schaden als Nutzen anrichten, den Jugendschutz nicht stärken und das Vertrauen der 'Netzgemeinschaft' in die Politik endgültig zerstören.“
JMStV-Brief--Alternativen--SPD-MdL-NRW.pdf
(Veröffentlichung honorarfrei, Belegexemplar erbeten)
Aussender:
Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur)
http://ak-zensur.de/
Pressekontakt:
presse@ak-zensur.de
Alvar Freude, Tel. (0179) 13 46 47 1 (bitte NICHT in andere Blogs übernehmen, sondern hierher verweisen!)
So sehr auch ich den Auswüchsen des deutschen "Jugendschutzes"
kritisch gegenüberstehe, und das Engagement von Aktivisten wie Alvar
Freude & Co grundsätzlich begrüße - aber diese Panikmache bezüglich
der JMStV-Novelle ist einfach nicht angebracht, stellt unrichtige
Behauptungen auf und ist dadurch wenig konstruktiv. Behauptungen wie
in dem offenen Brief "Jeder, der Inhalte ins Internet stellt, muss
diese einer Alterseinstufung unterziehen" sind schlichtweg ebenso
falsch (warum siehe unten) wie die nachfolgende "Führt die
Klassifikation zu einer Einschränkung „ab 12 Jahren“ oder höher, so
muss sich der Inhaltsanbieter „freiwillig“ für eine von mehreren
Maßnahmen entscheiden", denn die Beeinträchtigung beginnt erst ab 16
(vgl. JMStV-E §5 Abs. 6).
Es bestehen durch die Novelle keineswegs mehr Pflichten als vorher.
Denn: auch laut der schon seit 2003 gültigen bisherigen Version des
JMStV musste schon jeder, der aus Deutschland "potentiell
entwicklungsbeeinträchtigende" Inhalte ins Internet stellt, dafür
sorgen dass sie Minderjährige "üblicherweise nicht wahrnehmen
können"! Nur konnte man das bisher allein entweder per Uhrzeitsperre,
oder über eine anspruchsvolle Nutzeranmeldung realisieren.
Die neuen (Selbst-)Alterskennzeichnungen sind ausdrücklich
FREIWILLIG! Sie ergänzt die bisherigen Möglichkeiten, wie man solche
Inhalte rechtskonform verbreiten darf, um eine dritte Option. Sprich
wenn man die normierten Kennzeichnungen verwendet, kann man auf
Uhrzeitsperre und Anmeldung verzichten. Aber nochmal, auch bisher
musste man schon dafür sorgen, nichts
"entwicklungsbeeinträchtigendes" online zu stellen!
Und die Befürchtung, dass Angebote bei Nichtklassifizierung künftig
vielerorts gesperrt bleiben, ist stark übertrieben. Denn die Sperren
finden ausschließlich auf den Zugangs-PCs statt, sprich durch einen
selbst oder die Eltern etc., also ebenso freiwillig. Darüberhinaus
soll die Software alternativ so einstellbar sein, dass sie nicht
klassifizierte Inhalte entweder grundsätzlich sperrt, oder aber
durchlässt. Das konkrete System wird von KJM, FSK & Co. derzeit
entwickelt.
Zum Nachlesen empfehle ich erstens diese Gegenüberstellung von altem
und neuem JMStV:
http://www.fsm.de/inhalt.doc/Synopse_JMStV_final.pdf , und zweitens
den offiziellen Kommentar, der mögliche Unklarheiten doch deutlich
erhellt; relevant sind jeweils v.a. die Paragraphen 5 und 11:
http://www.rlp.de/fileadmin/staatskanzlei/rlp.de/downloads/medien/Begr%C3%BCndung_zum_Vierzehnten_Staatsvertrag_zur_%C3%84nderung_rundfunkrechtlicher_Staatsvertr%C3%A4ge.pdf .
Hallo, zuerst einmal herzliche Grüße an die, hmm, wie soll ich sagen, … „Entertainment-Branche“ trifft es vielleicht am besten.
Selbstverständlich ist es mit dem neuen JMStV so, dass jeder, der Inhalte ins Netz stellt, diese einer Alterseinstufung unterziehen muss. Oder mit anderen Worten gesagt: er muss sie auf „erziehungsbeeinträchtigende“ Inhalte untersuchen. Das ergibt sich direkt aus §5 Abs. 1 JMStV-E. Die angekündigte Widerlegung ist im Kommentar übrigens nicht zu finden.
Richtig ist, dass auch schon bisher der Inhalteanbieter Maßnahmen ergreifen musste. Allerdings sind KJM, FSM und jugendschutz.net vor allem gegen Inhalte aus dem Erotik-Bereich vorgegangen. Alles andere wäre verfassungsrechtlich auch sehr bedenklich gewesen, der bisherige JMStV konnte nie ausgeschöpft werden. Mit dem neuen JMStV werden die Maßnahmen geschaffen, die auf der einen Seite eine Durchsetzung und auf der anderen Seite Abmahnungen durch vermeintliche Konkurrenz ermöglichen.
Und das mit der angeblichen „Freiwilligkeit“ haben wir ja nun auch lang und breit erklärt, selbst in dem kritisierten Brief steht das drin.
Auch dass die „Zugangssperre“ derzeit bzw. mit dem neuen JMStV auf dem Rechner des Nutzers stattfindet, haben wir immer gesagt. Ebenso die Wirkungsweise des Inhaltsfilters.
Mir ist durchaus klar, dass einige Branchen sehnsüchtig auf eine Lockerung gewartet haben. Ich halte diese auch nicht für falsch. Aber bitte nicht auf dem Rücken anderer.
Achso, zum Schluss: bzgl. der Behauptung, dass keine neuen Pflichten entstehen, verweise ich noch auf §5 Abs. 3 JMStV-E. Da kommen wir dann auch zu der wunderbaren Situation, dass sich der Wortlaut des Gesetzes (bzw. Staatsvertrages) und die Gesetzesbegründung widersprechen. Ach, streng genommen sogar die Gesetzesbegründung in sich selbst.
Wenn es um den neuen JMStV-E geht, ist allzu schnell von "Zensur" die Rede und wird das Diktatur-Gespenst der eingeschränkten Meinungsfreiheit an die virtuelle Wand gemalt.
Da lohnt es durchaus, mal genau nachzufragen, WER hier eigentlich WAS "zensieren" kann oder soll. Die erste für manche vielleicht überraschende Erkenntnis: Der Staat zensiert gar nicht mit dem neuen JMStV-E. Nicht einmal die Website-Anbieter "zensieren".
Wer "zensiert" dann? Die Eltern!
Niemand anders als die Eltern entscheiden, ob ein Jugendschutzprogramm auf den Rechnern ihrer Kinder und Jugendlichen installiert wird. Niemand anders als die Eltern entscheiden, ob das Jugendschutzprogramm scharf eingestellt wird oder z.B. ein 12jähriger doch die Inhalte "bis 16" sehen darf. Niemand anders als die Eltern können im Jugendschutzprogramm Websites auf die Whitelist setzen und damit für ihre Kinder freischalten, auch wenn der Staat, der Anbieter oder wer auch immer diese Websites für problematisch ansehen mögen - gleiches gilt umgekehrt mit der Blacklist.
Mit Verlaub: Das Erziehungsrecht der Eltern ist eines der wichtigsten Grundrechte aus dem Grundgesetz. Es geht um nichts weniger als das elterliche Erziehungsrecht beim neuen (und alten) JMStV!
Zum Erziehungsrecht der Eltern gehört, dass sie überhaupt die Möglichkeit haben, dieses auszuüben. Natürlich sollen Eltern ihre Kinder in die Medienwelt führen, sie auf Gefahren aufmerksam machen, sie über Hürden bringen und vor Untiefen bewahren. Kurzum: den Kindern Medienkompetenz vermitteln wie sie auch Fahrradfahren beibringen oder Matheformeln.
Aber wer will den Eltern absprechen, dass sie dabei die Kinder auch mal allein vor dem Rechner lassen wollen, ihre eigenen Erlebnisse machen - in einem Surfraum, der möglichst groß ist, aber in dem nicht bei jedem Vertipper böse Überraschungen drohen. Wer will Eltern dazu hilfreiche Tools verweigern?
Wer gegen den JMStV und die damit intendierten Jugendschutzprogramme ist, der müsste eigentlich auch gegen Fahrradhelme sein. Denn warum Kindern Helme aufsetzen - sie sollen doch vorsichtig fahren! Warum Jugendschutzprogramme installieren - Kinder sollen doch nicht auf die untauglichen Websites gehen! Realistisch? (Ich weiß, der Vergleich ist platt - aber plastisch und überraschend zutreffend).
Der (alte wie neue) JMStV verpflichtet Anbieter, den Eltern ein Tool anzubieten, mit dem sie dafür sorgen können, dass ihre Kinder potentiell entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte "gewöhnlich nicht wahrnehmen". Was heisst das? - Absoluter Schutz? Nein, das wäre naiv und ist deshalb auch gar nicht erst vom JMStV gefordert. Es geht darum, dass Kinder nicht in Spam-Mails, bei Vertippern beim Eintragen von Domains in die Browserzeile, beim einfachen Rumsurfen und Internet-Entdecken häufig auf Inhalte stoßen, die sie weder gesucht haben, noch die sie sehen wollen, noch die gut für sie sind (nach der zweifelsohne vorherrschenden Elternmeinung).
Wenn sich Kinder oder Jugendliche gezielt auf die Suche nach Inhalten machen, z.B. der beim Vor-Schreiber nett umschriebenen Entertainment-Branche, dann werden sie diese Inhalte auch irgendwo auf der Welt finden - egal wie gut das Jugendschutzprogramm ist. Letztlich ist das auch gut so (und die bewusste Lücke des nicht sehr scharfen "gewöhnlich nicht Wahrnehmens", denn dann sind sie wahrscheinlich auch schon reif für diese Erlebnisse und zumindest im Bewusstsein, sich auf verbotenes Glatteis zu bewegen und entsprechend vorgewarnt. Aber dann haben die Kinder und Jugendlichen entschieden, dann haben (wenn sie es mitbekommen oder bewusst nicht hinschauen) die Eltern entschieden - aber weder ein mit Mails oder Vertipper-Domains lockender Anbieter und schon gar nicht der Staat.
Beim neuen (und alten) JMStV geht es also im Grunde um das Gegenteil von Zensur - es geht um das Recht der Kinder und Jugendlichen auf das Internet! Es geht darum, dass Eltern ein Tool in die Hand bekommen, mit dem sie ihre Kindern Freiheit mit Grenzen im Internet lassen, wie sie es auch sonst in fast allen Lebensbereichen tun - statt den Kindern das Internet vorsorglich ganz zu verbieten.
Wer gegen Zensur ist .. sollte FÜR den JMStV-E sein!
P.S. Kernidee des offenen SPD-NRW-Briefes ist eine durch Crowdsourcing entwickelte und gepflegte Filterliste für Jugendschutzprogramme. Tolle Idee! Es wäre wunderbar, wenn die namhaften Unterzeichner diese Idee umgehend in die Tat umsetzen und so ihren markigen Worten echten Jugendschutz folgen lassen. Und das Gute ist: Der neue JMStV hat nichts dagegen, im Gegenteil: Eine derartig wirkungsvolle Filterliste nach dem "Stand der Technik" ist genau das, was der neue JMStV-E fordert und fördert. Nicht reden - handeln. Ich freue mich schon jetzt auf die neue Crowdsourcing-Filterliste und werde sie umgehend auf die Rechner meiner Kinder bringen.
Kurzum: Wer eine wirkungsvolle Crowdsourcing-Filterliste will .. sollte FÜR den neuen JMStV-E sein.
Ah, da versucht es der Lobbyist mal wieder mit dem alten Trick, irgendwem irgendwas in den Mund legen zu wollen, was der gar nicht gesagt hat. Das ganze gepaart mit dem Versuch, als normaler Bürger auszusehen, und nicht als Lobbyist. Glaubt ihr tatsächlich, dass das klappt? Mannmann.
Aber schon interessant zu sehen, wer jetzt alles nervös wird …
Im offenen Brief wird behauptet: "Jeder, der Inhalte ins Internet stellt, muss diese einer Alterseinstufung unterziehen."
Im JMStV-E steht jedoch sinngemäß: Anbieter, die möglicherweise entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte veröffentlichen, haben dafür zu sorgen, dass Minderjährige sie üblicherweise nicht wahrnehmen. Umsetzen können sie dies durch Uhrzeitsperren, Anmeldesysteme - alles wie bisher! - ODER nun neu: Alterskennzeichnungen.
Das ist aber eben nicht dasselbe. Also nicht mehr Pflichten als bisher schon, sondern nur mehr Möglichkeiten. Abmahnungen waren auch nach der schon gültigen Version längst möglich.
Absolut kann man kritisieren, dass der Entwurf in sich nicht optimal formuliert ist. Insbesondere der Umstand, dass Alterskennzeichnungen künftig gleichwertig zu den bisherigen Sperrmaßnahmen sein sollen, ergibt sich ja nicht wirklich aus §5, sondern erst aus §11 bzw. dem Kommentar. Da wäre eine schlüssigere Formulierung durchaus wünschenswert gewesen.
Auch die Entertainment-Branche sieht dem neuen JMStV durchaus mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn der Aufwand, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, stellt sich ja auch oder gerade für diese als nicht unerheblich dar.
Dass es weltfremd sein mag, deutsche Internetangebote solchen Maßnahmen zu unterziehen, während der Rest der Welt das natürlich nicht tut, wie auch dass es einem Jugendschutzgedanken kaum entsprechen dürfte, wenn die bisher etwa tagsüber gesperrten Inhalte künftig bei den wohl überwiegend filterlosen Nutzern auch ganztags zu sehen sein werden, dem kann man durchaus zustimmen.
Wie gesagt propagiere ich hier den oft überzogenen deutschen Jugendschutz keineswegs. Meine Kritik richtet sich primär gegen undifferenzierten Aktionismus, den man von der politischen Gegenseite ja schon oft genug bekommt. Der neue Vertrag scheint mir aber eine Verbesserung gegenüber dem alten, der doch wohl noch weitaus unrealistischer war, und dementsprechend spärlich umgesetzt worden ist.
Die Regelung zum User Generated Content laut §5 Abs. 3 neu sehe ich zwar prinzipiell auch nicht unkritisch. Der Schaden, Angebote künftig pauschal als "ab 18" zu deklarieren, um Einzelprüfungen zu vermeiden, dürfte sich aber doch in Grenzen halten. Wie groß und somit relevant ist die Verbreitung von nutzerseitiger Jugendschutzsoftware denn schon, die den Zugang dazu dann ganz verhindert. Eine Pflicht zur Installation gibt es ja nicht - und darf es auch nie geben, da würde sich jeder akzeptable Jugendschutz natürlich aufhören.
Eine etwaige Filterung findet also nur auf dem Nutzer-PC statt. Und wenn schon Jugendschutz, dann doch besser mit diesem kleineren Übel, als wirkliche Selbstzensurpflichten auferlegt zu bekommen.
Ich habe meinem Blog einen ersten hoffentlich JMStV-gerechten Beitrag hinzu gefügt. Ich denke, das geht so in Ordnung:
http://www.fischfresse.de/2010/11/jugendschutz-medien-der-neue-jmstv-satire-jugendmedienschutz-staatsvertrag/
Hier ein guter Kommentar zum Thema von bekannt kompetenter Seite:
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2010/12/01/warum-blogger-gelassen-bleiben-konnen/
Es wird so getan, als ob das Internet an der deutschen Grenze aufhört zu existieren. Die bestehenden Jugendschutzgesetze sind absolut ausreichend. Aber sie nützen schon jetzt rein gar nichts, da man eben auf ausländischen Seiten ohne Altersnachweis etc. das geboten bekommt, was deutsche Seiten schon immer nicht zeigen durften. Was macht es dann für einen Sinn? Es sind doch vielmehr die Eltern, die ihre Kinder vor den Fernseher oder den Computer setzen um ihre Ruhe zu haben. Die Eltern sind für das Wohl ihrer Kinder verantwortlich und sollten dafür sorgen, daß ihre Kinder nicht zu sehen bekommen, was sie nicht sehen sollen. Das Gesetz (sollte es denn kommen) unterbindet nicht, daß auch weiterhin Kinder / Jugendliche uneingeschräft Zugriff auf den nicht vom deutschen Staat "zensierten" restlichen riesigen Teil des Weltweiten Netzes haben. Die kleinen deutschen Firmen bleiben auf der Strecke weil mal wieder Kosten auf sie zukommen und Regelungen. Sämtliche Betreiber von Seiten, die nicht in unserem Land beheimatet sind lachen sich ins Fäustchen. Um das mal klarzustellen: ich bin nicht gegen den Schutz der Kinder und Jugendlichen. Aber es bringt nichts. Viel mehr würde eine Art Zugangsbeschränkung insgesamt bringen. Heisst, z.B. eine Chipkarte, die man erst ab 16 oder meinetwegen auch 18 bekommt. So wäre es dann Jungendlichen bzw. Kindern nich möglich, ohne einen Erwachsenen im Internet zu surfen und dann hat der Erziehungsbevollmächtigte es in der Hand, was er seinem Kind von der großen Internetwelt zeigen möchte und was nicht.
Andererseits ist es doch so, daß Kinder wohl kaum einen Internetanschluss beantragen können. Demzufolge haben nur Erwachsene einen Internetanschluß. Somit können sie doch wohl darauf achten, wer ihren Anschluß WIE nutzt.