Vor zwei Wochen fand in Wiesbaden die mündliche Verhandlung zur Klage gegen die Internet-Sperr-Verträge statt.
Jetzt wurden das Protokoll der Verhandlung, der Beschluss und weitere Prozessunterlagen veröffentlicht - das Wichtigste in Kürze:
- Die Sperrinfrastruktur steht sowohl bei den Providern als auch beim BKA:
»Die Fachabteilung kann jederzeit loslegen«
. - Um Inhalte zu löschen, will das BKA per Fax Kontakt zum technischen Ansprechpartner aufnehmen, der für die Domain bei der Registrierung angegeben wurde. Dann muss die Löschung aber auch erfolgen, sonst müsse man
»davon ausgehen, dass hier strafbares Handeln gewollt ist«
. - Das BKA ist dabei, durch Hinweise, eigene Recherchen und andere Quellen eine Sammlung von Adressen für die künftige Sperrliste aufzubauen.
- Die Adressen auf den Sperrlisten will das BKA nach eigenem Bekunden
»täglich neu evaluieren«
.
(Direkt zu den veröffentlichten Unterlagen)
Sperrinfrastruktur steht
Dass die Sperrinfrastruktur bei den Providern schon seit längerem steht, war gerüchteweise bekannt. Auch konnte man davon ausgehen, dass zumindest Arcor entsprechende Techniken bereits aufgebaut hatte.
Arcor hatte im September 2007 Porno-Seiten gesperrt. Später fiel dann auf, dass bei der Sperrung auf IP-Adress-Ebene etwa 3 Millionen Domains unbeteiligter Dritter gesperrt wurden.
Durch das Protokoll ist jetzt bekannt, dass die Umsetzung der Sperren innerhalb kurzer Zeit erfolgen kann - laut Anwältin Eva Dworschak, die den Webhoster Julian Kornberger vertrat, »innerhalb von zwei Minuten«
.
Eine Liste der Kunden
Für das nächste Jahr verweist das Bundeskriminalamt (BKA) auf die Vereinbarungen in der Koalitionsvereinbarung.
Deutsche Server-Betreiber will das BKA über den technischen Ansprechpartner, der im Whois der Domain vermerkt ist, per Fax auf beanstandete Inhalte hinweisen.
Sollte der aber »nicht zeitnah [reagieren], würden wir erneut versuchen, mit [diesem] in Kontakt zu treten. Für den Fall, dass keine entsprechende Reaktion erfolgt [
], müssten wir als BKA davon ausgehen, dass hier strafbares Handeln gewollt ist mit der Folge, dass über die örtlichen Dienststellen ein entsprechendes Verfahren eingeleitet wird.«
Befindet sich der Server im Ausland, schaut das BKA aber ebenfalls im Whois nach, ob Bezug zu einem deutschen Betreiber zu erkennen ist. Dann wird dieser ebenfalls kontaktiert.
Für den Fall, dass ein deutscher Betreiber Server im Ausland betreibe, im Domain-Whois aber nicht als technischer Kontakt aufgeführt ist, schlägt das BKA vor: »dass ein entsprechender Hostbetreiber [
] dann kontaktiert werden könnte, wenn dieser sich beim BKA mit den entsprechenden Daten im Vorfeld gemeldet hat.«
Mit anderen Worten: Um zu vermeiden, in den Fokus der Ermittlungen zu geraten, muss Herr Kornberger lediglich all seine Kunden beim BKA registrieren. Der eklatante Eingriff in Kornbergers Grundrechte und die seiner Kunden muss dem Herrn vom BKA entgangen sein.
Verfahren ruht, Sperr-Verträge weiter geheim
Den Ausgang hatte das Verfahren darin, dass Arcor im Juli telefonisch versichert hatte, die Internet-Sperren bereits umgesetzt zu haben.
Zu Anfang der Verhandlung hatte das BKA ein Schriftstück des Innenministeriums (BMI) vorgelegt:
im Bezug auf die vorgesehene Zugangserschwerung zu kinderpornographischen Inhalten im Internet auf vertraglicher Grundlage bitte ich nochmals darum,
- den Wirkbetrieb nicht aufzunehmen und
- keine Sperrlisten an Internet Provider zu übersenden.
Diese Anweisung gab für das Gericht den Ausschlag, das Feststellungsinteresse für das Hauptsacheverfahren als nicht gegeben anzusehen - obwohl sie lediglich als Bitte formuliert ist. Außerdem hatte das BKA mündlich versichert, beim Aufbau der Sperr-Infrastruktur mit Daten gearbeitet zu haben, die im Intranet getestet worden seien.
Nur im Hauptsacheverfahren hätte die Herausgabe der Sperr-Verträge erzwungen und deren Annulierung erwirkt werden können.
Jederzeit loslegen
Da die Sperr-Verträge somit weiterhin in Kraft sind, hängt es nur von den Anweisungen der Bundesregierung ab, ob sie doch noch zum Einsatz kommen werden.
Was die Ausführungen des BKA angeht, es würde zunächst mehrfach die Serverbetreiber anschreiben, um eine Löschung der Inhalte zu erwirken, ist doch zumindest fraglich, ob diese Aussage in der Realität der Strafverfolgung haltbar ist:
In einem laufenden Ermittlungsverfahren käme dies einer Aufforderung gleich, doch bitte sämtliche Beweise zu vernichten.
Veröffentlichte Dokumente
Die Dokumente sind bei Wikileaks veröffentlicht worden.
Auf den fortwährenden Konjunktiv des Koalitionsvertrages gebe ich einen feuchten und was darin steht auch. Ich glaube Dinge erst, wenn der Bundespräsident unterschrieben hat. Mein Dank geht an so ehrliche Politiker wie den 100.000-DM-Finanzminister, der die deutsche Demokratie durch sein Nichtverschwinden weiter nachhaltig beschädigt.
Geheimer Toll Collect Vertrag, geheime Buback Akten, geheime Sperrverträge, demnächst noch Geheimgesetze. Muss man jetzt echt ein ganzes Jahr aufpassen, was BKA und Regierung zu der Zensur noch so im Hinterstübchen veranstalten? Freu ich mich schon auf die nächsten öffentlichen Reden der Architekten dieser Demokratiebeschädigungen. #uasy
Ich bin echt gespannt, wie lange das BKA IT Kompetenzzentrum braucht, um die Funktion der abuse@ E-Mail Adresse herauszufinden. Ob deren Hirn auch "jederzeit mit dem Denken loslegen" kann? Hauptsache die Hotel und Gastro Dachfonds bekommen bald renditewirksam ihre MwSt Sätze von der FDP gesenkt. Wo bleibt eigentlich die Revolution (tm)?
Leider ist wikileaks z.Zt. für mich nicht erreichbar. :-/
@paule
der Beschluss udn die weiteren Dokumente sind auch hier einsehbar
http://www.die-rechtsanwaelte.eu/wer-wir-sind/dworschak/
"Was die Ausführungen des BKA angeht, es würde zunächst mehrfach die Serverbetreiber anschreiben, um eine Löschung der Inhalte zu erwirken, ist doch zumindest fraglich, ob diese Aussage in der Realität der Strafverfolgung haltbar ist:
In einem laufenden Ermittlungsverfahren käme dies einer Aufforderung gleich, doch bitte sämtliche Beweise zu vernichten."
Wurde aber nicht gerade diese Vorgehensweise von (fast) sämtlichen Webaktivisten vehement gefordert? "Löschen statt Sperren" hieß es doch immer, und das sei doch ganz einfach und regelmäßig erfolgreich. Und jetzt kommt ihr drauf, dass das eventuell ein Problem sein könnte? (das mit den Beweisen ist im Übrigen quatsch, Selbstverständlich kann das BKA Beweise dokumentieren und dann erst die Löschanfrage stellen.
Löschen statt Sperren gilt. Aber wenn das BKA behauptet, man könne sich mit der Registrierung seiner Kunden und mit dem Eintrag der Faxnummer vor ungerechtfertigter Verfolgung und überbordenden Sperrmaßnahmen schützen, ist das eine Farce.
Deswegen ist diese Zensurinfrastruktur weiter unverhältnismäßig, wirkungslos und eine Gefahr für die Grundrechte.