Ein Kommentar
Gestern fand in der Staatskanzlei Mainz eine Anhörung zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag statt. Florian Altherr war für uns mit dabei und hat auf die massiven Probleme, die wir im aktuellen Entwurf sehen, hingewiesen. @cccmz hat live mitgezwitschert.
Martin Stadelmaier, Chef der Staatskanzlei, betonte, dass der Entwurf ja gar nicht so gemeint gewesen sei wie wir es aufgefasst haben. So heißt es auch in einer Pressemeldung, dass keine Zwangskennzeichnung von Inhalten vorgesehen sei, und dass „Netzsperren à la Zensursula“ nicht der richtige Weg seien.
Dies ist natürlich zu begrüßen! Mir scheint aber, dass es unter den Beteiligten in dieser Hinsicht durchaus unterschiedliche Meinungen gibt. So wünscht sich Wolf-Dieter Ring, Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), seit Jahren Sperrverfügungen gegen Access-Provider und in der KJM ist man der Ansicht, dass dies rechtlich schon jetzt möglich wäre. Ring saß mit am Tisch neben Martin Stadelmaier, und war in die Entstehung des aktuellen Entwurfs zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag involviert.
Damit kommen wir auch schon zu dem ersten Punkt, der sich in Zukunft ändern muss: die Nutzer bzw. die Online-Community und die Öffentlichkeit müssen in die Entstehung solcher Gesetze mit einbezogen werden! Denn dies geht uns alle was an, und es geht um Grundrechte. Zudem halte ich es für essentiell, dass der nächste Entwurf des JMStV nicht klammheimlich den Ministerpräsidenten zur Verabschiedung vorgelegt, sondern vorher der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Die zweite wichtige Forderung, mit der wir aus der Anhörung gehen ist: Wenn die Rundfunkkommission der Länder nun wirklich weder Zwangskennzeichnung noch Access-Blocking will, dann muss dies auch aus dem Gesetz deutlich werden. Und das bedeutet: Die Möglichkeiten von Sperrverfügungen der KJM gegen Access-Provider müssen ganz rausfallen, auch aus den bisherigen Regelungen. Eine Verantwortlichkeit nach dem JMStV darf sich nur auf die Anbieter eigener Inhalte beziehen. So wie dies im Telemediengesetz vorgesehen ist. Auch ist die Alterskennzeichnung einzelner Webseiten oder ganzer Sites aus dem Gesetzesentwurf zu streichen – freiwillig kann das ja weiterhin jeder Anbieter machen der dies wünscht. Ergänzung: Seit über zehn Jahren ist schon mehrfach durchdekliniert, dass dies nicht funktioniert. In unserer JMStV-Stellungnahme gibt es einen eigenen Abschnitt dazu.
Ich sehe aber auch ein grundsätzliches Problem: Wenn am Entwurf zum neuen JMStV nur Organisationen, die mehr oder minder wirtschaftliche Interessen haben, beteiligt sind, dann kann das schnell in die falsche Richtung gehen. Und dann diskutieren sie in der Anhörung auch nur, wer jetzt welche Kompetenzen erhalten soll. Um das Netz, um die Nutzer, um Jugendschutz, um Demokratie, um das freiheitlichste Kommunikationsmedium aller Zeiten geht es dabei nicht: KJM/FSK/FSM/USK/jugendschutz.net/… diskutieren, wer Kompetenzen erhält!
Bei KJM-Chef Wolf-Dieter Ring liegt die Vermutung nicht fern, dass er weitere Interessen verfolgt: das Durchdrücken seiner eigenen Moralvorstellungen. So sagte er mal vor einigen Jahren auf den Münchner Medientagen, dass es eine positive (und gewollte) Nebenwirkung des Jugendschutzes sei, dass Erwachsenen der Zugang zu entsprechendem Material erschwert werde. Und er hat sich auch schon darüber beschwert, dass die Entscheidungen der KJM von unabhängigen Richtern überprüft werden können …
Die meisten Verbände waren in der Anhörung leider zahm: sie müssen viele Mitglieder mit unterschiedlichen Interessen unter einen Hut bringen und einigen sich dann eben auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Von diesen können wir als Nutzer also nicht viel erwarten. Aber umgekehrt können wir sie durch unseren Protest ermuntern, mutiger zu werden. Beim Zugangserschwerungsgesetz hat es auch geklappt, die Verbände hatten sich da schon früh geschlagen gegeben. Ohne den Protest aus dem Netz wäre das auch so geblieben …
Klar ist: dieser Entwurf muss vom Tisch! Das einzig Sinnvolle wäre, nochmal ganz von vorne anzufangen. Bei der Software-Entwicklung ist es es oft auch sinnvoll, eine Anwendung neu zu schreiben, anstatt am Mißglückten herumzubasteln. Da bietet sich auch die Gelegenheit zur Verständigung darüber, was erreicht werden soll:
- In Einschränkungen für die Porno-Branche sehe ich aus bürgerrechtlicher erst einmal kein Problem. Aus Jugendschutz-Sicht haben wir in Deutschland eine sehr weitgehende Lösung mit dem Zwang zu Altersverifikationssystemen, im Wesentlichen ist das für inländische Anbieter dicht. Allerdings sollte man sich schon fragen, inwieweit man indirekt Wirtschaftsförderung für die (großen) kommerziellen Porno-Anbieter betreiben will. Ergänzung: Durch die Altersverifikation haben wir quasi einen Zwang zur Bezahlung. Gleichzeitig haben aber im Inland nur noch die großen Anbieter eine Chance. Und die ausländischen, die ohne Altersverifikation auskommen.
- Im Bereich des Rechtsextremismus bietet das Strafrecht effektivere Ansatzpunkte.
- Aus Jugendschutz-Sicht ein viel realeres Problem ist neben der Beeinflussung durch den tagtäglichen Fernsehkonsum der Tausch von einschlägigen Fotos und Filmen via Handy auf dem Schulhof. Hier scheint mir nur eine praktikable Lösung in Sicht: die Stärkung der Medienkompetenz und des Verantwortungsgefühls der Jugendlichen sowie alles was damit zu tun hat (z.B. aufmerksame Eltern und Lehrer). Alle anderen denkbaren Lösungen schränken eine legitime Nutzung auf unzumubare Weise ein oder greifen tief in die Privatsphäre ein.
- Internet-Angebote, die sich an Kinder richten, sollten sicher stellen, dass sie dort nicht gleichzeitig Inhalte anbieten, die für die jeweilige Altersgruppe offensichtlich ungeeignet sind. Dies ist zwar eine Selbstverständlichkeit, aber wenn sich die Anbieter nicht daran halten muss eben mit Druck nachgeholfen werden.
- Der Datenschutz könnte gestärkt werden. Einige Anbieter fragen für meinen Geschmack viel zu viele Daten von Kindern ab, oft unnötigerweise.
- Verbraucherschützer bemängeln, dass Kinder oft auf die typischen Abzocker-Websites gelockt werden. Ich sehe hier aber kein Problem des Jugendschutzes, sondern in mangelnder strafrechtlichr Verfolgung sowie eventuell Nachbesserungsbedarf im Fernabsatzgesetz und anderen dies betreffenden Gesetzen. Ich hätte auch kein Mitleid, wenn bei den betreffenden Betreibern und ihren willfährigen Anwälten mal die Hells Angels oder Banditos vorbeischauen würden. Aber wegen ein paar Abzockern sehe ich keinen Grund, in anderen Bereichen die Freiheit der Allgemeinheit einzuschränken. Verfolgt die Abzocker, nicht das Internet!
- Das Internet ist das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum der Welt und trägt maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei. Die Informationsgesellschaft bietet neue Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen ebenso wie neue Chancen für die demokratische Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens sowie für die wirtschaftliche Betätigung. Das sage nicht ich, das sagt der Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Es wäre schön, wenn die Bundesländer dies nicht torpedieren würden.
Hätten wir kompetente Jugendschützer in den Aufsichtsbehörden, Kommissionen und ähnlichen Organisationen, würden sie gute, beliebte und für jugendliche taugliche Online-Prokjekte erstellen. Sie wären von sich aus und vor der kommerziellen Konkurrenz auf die Idee gekommen, wie man erfolgreiche und beliebte Projekte macht. Warum kam von den ganzen Jugendschützern niemand auf die Idee, so etwas wie SchülerVZ in gut zu machen und professionell umzusetzen? Stattdessen werfen sie Millionen über Millionen für Projekte wie Klicksafe, fragFINN.de, klick-tipps.net und ähnlichen Kram zum Fenster hinaus, die laut Alexa Traffic Stats kaum Besucher haben und zusammen weniger als die AK Zensur Webseite alleine …
Diese Leute werfen aber nicht nur unser Steuergeld zum Fenster hinaus. Sie sind es auch, die abstruse Regulierungs-Ideen entwickeln. Sie zerstören unser aller Freiheit. Das ist sehr traurig.
Siehe auch: Infos zum JMStV und unsere Stellungnahme