November 2010 Archive

Wir haben eine erste Antwort auf unseren offenen Brief an die SPD-Landtagsabgeordneten erhalten: der Landtagsabgeordnete Martin Börschel bringt darin seine Ablehnung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages zum Ausdruck. Börschels Antwort hier im Volltext (PDF), im Folgenden einige Ausschnitte (Hervorhebung von mir):

Schon gewusst? Die Deutsche Telekom AG hat mit Gabriele Schmeichel nicht nur eine Jugendschutzbeauftragte, die in Personalunion die Vorsitzende der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM) ist. Die Deutsche Telekom AG betreibt mit erotic lounge auch ein Soft- und Hardcore-Porno-Portal, in das sie offensichtlich viel Geld rein gesteckt hat. Da gibt es dann so interessante Filme wie die „Satansweiber Von Tittfield“*, „Paare Privat – Intime Liebesspiele nur zu zweit“ oder „Sex - Porno für Paare“ (Vol. 1 bis 3). 

Was daran so interessant ist? Nun, die FSM und ihre Vorsitzende preisen den neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) an. Der soll ja den Jugendschutz stärken und so weiter. In Wirklichkeit hat die Telekom aber ein Problem, das sie mit dem neuen JMStV zu kippen hofft: in der erotic lounge wollen sie zwar Soft-Pornos verkaufen (einen Hardcore-Bereich gibt es auch, aber das ist hier erstmal egal), aber bei derzeitiger Gesetzeslage dürfen sie das nur Nachts oder nach einer Altersverifikation. Nachts ist dumm, denn die meisten Porno-Konsumenten sind zwischen 13 und 15 Uhr sowie 20:30 und 22:00 aktiv. Und Altersverifikation mag keiner. Aber, da kommt der neue JMStV ganz recht: mit dem reicht es aus, die Webseiten mit einer Alterskennzeichnung zu versehen. Dann darf der Kram auch tagsüber verbreitet werden, da die Filme eine Einstufung ab 16 bzw. ab 18 Jahren haben. Toll für die Telekom und ihre Jugendschutzbeauftragte, toll für die FSM. 

Internet-Experten: SPD in NRW soll neue Jugendschutz-Regeln für das Web stoppen

Pressemeldung vom 24. November 2010

Über fünfzig Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, der „Netzgemeinschaft“ sowie Juristen, Journalisten und Netz-Künstler rufen in einem offenen Brief die SPD auf, der Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) ihre Zustimmung zu verweigern. In dem Brief an die SPD-Abgeordneten im Landtag von Nordrhein-Westfalen (PDF) führen die Unterzeichner inhaltliche, technische und juristische Schwachstellen des Staatsvertrags auf und erläutern seine Unwirksamkeit bezüglich des Jugendschutzes. Gleichzeitig weisen sie auf Alternativstrategien hin, mit denen die Politik den Jugendschutz im Internet verbessern und die Medienkompetenz aller Beteiligten steigern könnte.

Heute findet im Rechtsausschuss des Bundestages eine Anhörung zum Zugangserschwerungsgesetz statt. Neben einigen Juristen – unter anderem Dominik Boecker vom AK Zensur – ist auch der dänische Polizist Lars Underbjerg geladen. 

Und bei dem, was er so in seiner Stellungnahme schreibt, verschlägt es einem die Sprache. Da heißt es zu Teilen der Sperrliste:

Den USA 126 Domains und Russland 10 Domains zu melden, damit sie vom Netz genommen werden, hätte wenig Sinn, denn dies hat in diesen Ländern eine sehr geringe oder gar keine Priorität.

Den USA wäre es also egal, wenn Webseiten Bilder verbreiten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern darstellen („Kinderpornografie“)? Glaubt er das wirklich? Das widerspricht übrigens auch Meldungen, dass die Zusammenarbeit insbesondere mit Russland vorbildlich läuft.

Auch aus der Praxis kann ich das Gegenteil bestätigen: Im September habe ich es geschafft, zwei Webseiten abzuschalten, die in Dänemark seit 2008 blockiert waren. Bei einer dritten dauerte es drei Stunden. Im Oktober habe ich ein einem weiteren (bisher nicht dokumentiertem) Fall einen Online-Shop, der Filme angeboten hat, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen („Kinderpornografie“), innerhalb von fünf Stunden nach Meldung abschalten lassen. Da muss man sich schon fragen, welchen Beitrag die leicht umgehbaren Sperren in Dänemark zum Kinder- und Opferschutz leisten, wenn die Inhalte teilweise seit Jahren auf Sperrlisten stehen, aber weiterhin weltweit erreichbar im Netz bleiben. In der freien Wirtschaft würde man bei einer solchen „Erfolgsbilanz“ Lars Underbjerg fristlos kündigen …

Allgemein schreibt Underbjerg:

Für viele Länder stellt dies keine Priorität dar oder es gibt eine mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit seitens der beteiligten Internet-Provider. 

Und er beschreibt eine „Liste der schlimmsten Fälle“ bei Interpol, auf der nur Webseiten erscheinen, die den Missbrauch von unter 13jährigen gezeigt werde:

Die Liste „der schlimmsten Fälle“ wird von einem speziell dafür abgestellten Beamten bei Interpol geführt und fast täglich aktualisiert.

[…]

Was die 168 Domains betrifft, die ich aufrufen konnte, so waren ihre Standorte (nach Ländern) folgende:

CA 4, CN 5, CZ 2, DE 1, GB 5, JP 2, KR 4, NL 5, RU 10, SE 2, US 126

Er sagt also, es gebe mindestens einen „schlimmen“ Fall in Deutschland, aber etwas dagegen zu unternehmen sei sinnlos, man packe es lieber auf eine Sperrliste? Ich frage mich allen ernstes, in welcher Welt er lebt, dass er glaubt, Provider in Deutschland oder den USA würden die Verbreitung von Kindesmissbrauchsdarstellungen dulden. Auf der dänischen Sperrliste sind heute, 10:37 Uhr, mindestens elf Domains, die in Deutschland gehostet werden. Auch alle alten bereits beschriebenen Domains stehen noch drauf. 

 

Underbjerg schreibt weiter:

Diese Domains zu filtern hätte hingegen den Effekt, dass dänische Endverbraucher dem kinderpornographischen Material, das von diesen Domains verbreitet wird, nicht ausgesetzt wären. Von einem strafrechtlichen Standpunkt wäre das positiv und würde der präventiven Polizeiarbeit im Internet dienen.

Abgesehen davon, dass alleine schon die Vorstellung, jemand sei dem Material „ausgesetzt“ falsch ist und die Sperren trivial zu umgehen sind: Die Inhalte effektiv zu entfernen hätte zur Folge, dass niemand weltweit darauf zugreifen kann.

 

Ach, übrigens: die beiden in meiner Stellungnahme für den Unterausschuss Neue Medien beschriebenen Domains sind in Dänemark heute immer noch als „child pornography“ blockiert:

  • bimseregitim.com.tr
    Hierbei handelt es sich um die Webseite eines türkischen Schulungsunternehmens.
  • yourjokes.co.uk
    Eine Witze-Webseite aus Großbritannien, mit sexistischen Witzen.

 

Ich würde Underbjerg ja gerne ins Kreuzverhör nehmen und ihm u.a. die folgenden Fragen stellen (jeweils auch in Bezug auf Analyse und Stellungnahme):

  • Wieso werden in Dänemark Webseiten seit Jahren blockiert, wenn es innerhalb von 30 Minuten gelingt die abzuschalten?
  • Wie kommt es, dass viele Webseiten blockiert werden, die entweder schon lange gelöscht sind oder gar keine illegalen Inhalte enthalten (siehe oben)?
  • Wie kommt es, dass aktuell (mindestens) elf Webseiten aus Deutschland auf der Sperrliste stehen? 
  • Und die zentrale Frage insgesamt: Hatte die Sperre irgendeinen Effekt auf realen Kindesmissbrauch?

 

Weitere Informationen: