AK Zensur appelliert an SPD und GRÜNE: Absage an Netzsperren in Koalitionsvertrag aufnehmen!

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Für die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Bündnis '90/Die Grünen und der SPD in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat der AK Zensur heute an beide Parteien appelliert, sich in ihrem Koalitionsvertrag klar gegen Internetsperren und Zensur auszusprechen und damit den Weg für eine moderne Netzpolitik auf Landesebene zu ebnen.

Der Brief des AK Zensur an die beteiligten Verhandlungsführer im Volltext:

Sehr geehrter Herr Kretschmann, sehr geehrter Herr Schmid,
sehr geehrter Herr Beck, sehr geehrter Herr Köbler, sehr geehrte Frau Lemke,

der Regierungswechsel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bietet die Chance, neue Akzente in der Netzpolitik des Landes zu setzen. Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) möchte Sie dabei darin bestärken, die auf Bundesebene bei GRÜNEN und SPD diesbezüglich erreichten Fortschritte auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fortzuführen. Wir bitten Sie daher, die Ablehnung von Netzsperren und Zensur ausdrücklich in Ihren Koalitionsvertrag aufzunehmen.

Mit den Stimmen oder auf Initiative Ihrer Landesregierung darf es keinen Aufbau einer Zensur-Infrastruktur geben!

Denn egal, ob es mit dem Kampf gegen Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern („Kinderpornographie“), illegalem Glücksspiel oder zur Stärkung von Urheberrechten begründet wird oder ob andere Ziele verfolgt werden: Das Aufstellen von „Stopp-Schildern“, „Legalitätsweichen“ oder gar die „Blockade“ des Transports von Datenpaketen bedeutet zwangsläufig immer den Aufbau einer technischen Kontrollinfrastruktur, die ein hohes Missbrauchspotential trägt. Gleiches gilt für die Versendung von „Warn-Hinweisen“. Unter veränderten politischen Vorzeichen können diese Infrastruktur und Maßnahmen sofort für Zensur und Meinungskontrolle im Internet verwendet werden. Diese Technik lässt sich niemals hinreichend sicher auf das ursprüngliche politische Ziel begrenzen.

Es ist unerheblich, ob eine solche Infrastruktur in Folge eines Gesetzes wie des Zugangserschwerungsgesetzes, des Glücksspielstaatsvertrag, des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags oder zur Durchsetzung von Urheberrechtsansprüchen von den Internet-Providern zwangsläufig geleistet werden müsste oder aber auf Basis einer mehr oder weniger „freiwilligen“ Verpflichtung errichtet wird. Zensur darf in einem demokratischen Rechtsstaat niemals ein geeignetes Mittel zur Erreichung selbst von legitimen Zielen sein.

Eine technische Zensur-Infrastruktur ist ein Instrument mit bedrohlicher Wirkung auf die Meinungs- und Informationsfreiheit. Das gilt umso mehr, als dass mit Sperren lediglich eine symbolische Wirkung erzielt werden kann und zwar unabhängig davon, mit welcher Intention diese ursprünglich eingerichtet wurden. Probleme müssen immer an der Wurzel angegangen werden. Technik und technische Eingriffe können keine Lösung für soziale Probleme sein. Kontrollierende und inhaltlich wertende Eingriffe in eine technologisch neutrale Infrastruktur sind eine Gefahr für den freiheitlichen Rechtsstaat.

Die Errichtung einer solchen Infrastruktur darf die von Ihnen geführte Landesregierung – egal mit welcher Begründung – nicht fordern, befördern oder unterstützen. Darauf sollten Sie sich verbindlich im Koalitionsvertrag verständigen.

Die Regelungen des bisherigen Jugendmedienschutz-Staatsvertrages sollten grundsätzlich überdacht werden.

Der seit 2003 geltende Jugendmedienschutz-Staatsvertrag macht den Versuch, die im Rundfunk etablierten Mechanismen zum Jugendschutz auf das Internet zu übertragen. Die Diskussion um die gescheiterte Novelle im letzten Jahr hat gezeigt, dass dies in weiten Teilen aber nicht funktioniert und auf breite Ablehnung im Netz stößt. Daher wünschen wir uns eine grundlegende Diskussion über die Ziele, Methoden und Maßnahmen des Jugendschutzes im Internet ebenso wie eine Abwägung mit den grundgesetzlich garantierten Kommunikationsfreiheiten.


Sehr gerne stehen wir Ihnen für Ihre Fragen, weitere Erläuterungen und Diskussionen jederzeit zur Verfügung. Wir freuen uns sehr, wenn Sie unserer Empfehlung entsprechend ein klares politisches Bekenntnis in den Koalitionsvertrag aufnehmen.

Mit freundlichen Grüßen,
Alvar C.H. Freude für den AK Zensur

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8 Kommentare

Ich kann einfach nicht verstehen warum man Inhalte die gegen Gesetz und ordnung verstoßen nicht sperren sollte. Ja wollt ihr denn die totale Anarchie und Rechtslosigkeit im Internet ?

"Kontrollierende und inhaltlich wertende Eingriffe in eine technologisch neutrale Infrastruktur sind eine Gefahr für den freiheitlichen Rechtsstaat."

Straßen sind auch neutrale Infrastruktur und wer zu schnell oder besoffen darauf fährt, bekommt den Führerschein entzogen. Genau darum geht es auch in der "Netzsperre", nämlich gezielt den Tunichguten das Rasen und die Gefährdung unschuldiger Dritter auf der Datenautobahn zu erschweren.

"Zensur darf in einem demokratischen Rechtsstaat niemals ein geeignetes Mittel zur Erreichung selbst von legitimen Zielen sein."

Führt mal einen "Logik-Reset" durch und kalibriert euren moralischen Kompass! Wenn das was Sie als "Zensur" bezeichnen - das gezielte Abklemmen bestimmter Datenströme - das einzige Mittel ist, einen Rechtsverstoß zu bekämpfen, dann ist das Selbsterhaltung des demokratischen Rechtsstaates.Sie proklamieren keinen demokratischen Rechtsstaat, sondern Anarchie, in der jeder mangels Durchsetzbarkeit von Regeln machen kann, was er will und damit Regeln obsolet werden.

Was sollen denn die nicht-digitalen Alternativen sein? Zwangslager für alle zur flächendeckenden Einbimsung von Medienkompetenz bestimmte Websites nicht zu besuchen?

Gründe gibt es hier
Wirksame Alternative: Löschen statt Sperren.

Grundrechtswidrige und unwirksame Gesetze verstoßen gegen jede Ordnung. Sie schaffen durch ihre fehlende Wirksamkeit einen rechtsfreien Raum, schränken aber ohne Not Grundrechte ein. Geschieht das oft genug, dann wird Demokratie und Ordnung schrittweise demontiert.

Es kann und darf nicht sein, dass dies von der Politik propagiert wird.

liebe cdu-fans und andere zensur-freaks,
wenn man von einer materie nichts versteht, sollte man am besten die finger davon lassen. das internet basiert darauf, dass daten als pakete gemeinsam in einem netz aus leitungen unterwegs sind, von einem endpunkt zu einem anderen. diese pakete werden unabhängig voneinander übertragen, und sie werden dabei gleichwertig behandelt, weil sie zum zeitpunkt der übertragen nichts als pakete sind (also stückchen von irgendetwas, was wie auch immer geartet sein kann). die maschinen zwischen den endpunkten hat es nicht zu interessieren, WAS übertragen wird, es ist schon aufwendig genug, dass die übertragung überhaupt funktioniert.
als analogie für die ganzen internetausdrucker: wenn die post jeden brief und jedes paket an jeder zwischenstation erneut öffnen müsste, um herauszufinden um was für eine art von inhalt es sich handelt, würde nicht nur der transfer ewig und noch länger brauchen, sondern ausserdem wäre jedermanns privatsphäre zerstört - ebenso ist diese irrsinnige forderung zu verstehen, dass sich das internet gefälligst um die aussortierung "verbotener" inhalte zu kümmern habe.
rechte gelten auch im internet, es ist eine dreiste lüge unserer totalüberwachungsfanatiker, dass es (ausserhalb unseres bundestages) einen "rechtsfreien raum" gäbe. ein weiteres gesetz bringt auch nichts, wenn unsere polizei und staatsanwaltschaft einfach nur zu blöd und zu faul sind, bestehende gesetze durchzusetzen!

[...]Ich kann einfach nicht verstehen warum man Inhalte die gegen Gesetz und ordnung verstoßen nicht sperren sollte. [...]


Welches Gesetz und welche Ordnung?


Was ist der Unterschied, wenn ich

a) eine z.B. in den USA legale rechte Seite des Neonazi xyz aufrufe

b) diesen Menschen anrufe, damit er mir sein Meinung vor ließt

c) ich in die USA reise und dort seine Seite lese?


Das Internet ist ein "Pull-Medium" d.h. der Rezipient wählt aus was er lesen, hören oder sehen möchte und zwar weltweit ohne Grenzen und da hat sich kein Staat einzumischen.

bombjack

Sehr geehrter Herr Bellé,

löschen statt sperren klappt nur bei weltweit geächtetem Inhalt wie Kinderpornographie. Da es - sogar innerhalb der EU - Staaten gibt, die gegen Einwurf von Lizenzgebühren relativ beliebige Glücksspielerlaubnisse erteilen, also das Internetangebot zumindest nicht überall illegal ist, wäre es absolut unverhältnismäßig den Hoster einer Glücksspielseite zu Löschung aufzufordern. Und wenn sich der Glücksspielverantwortliche nicht in Deutschland ansässig ist und es keine Abkommen mit dem Sitzland gibt, den Glücksspielveranstalter zu zwingen nicht mit deutschen Kunden zu zocken, dass ist der einzige Weg das Band zwischen Kunden und Glücksspielanbieter zu kappen eine technisch wie auch immer geartete "Netzsperre".

Ansonsten aus der Abteilung "Worte auf die Goldwaage" und Logik: Ein grundrechtswidriges und unwirksames Gesetz kann - weil ja unwirksam - nicht gegen jede Ordnung verstoßen oder gar so etwas wie einen rechtsfreien Raum schaffen... unwirksame Gesetze können nur eins, nämlich einen rechtsfreien Raum (den sie eigentlich ausfüllen sollen) nicht verhindern.
und last but not least: es gibt kein Grundrecht auf Rechtsbruch.

Lieber fklhil,

auch ich bin ein Freund von "Schweig, wenn du keine Ahnung hast". Hättest also besser geschwiegen, weil Poizei und Staatsanwaltschaften so klug und fleißig sein können wie sie wollen, sie dürfen - und das macht
den Rechtsstaat aus - nur im Rahmen der sie zu bestimmten Handlungen ermächtigenden Gesetze handeln. Gesetze gelten nur auf einem bestimmten Territorium und - oh Logik - schränken damit auch den Handlungsrahmen von Staatsgewalt auf eben dieses Gebiet ein. Da Glücksspiel in Deutschland im Internet illegal ist, Anbieter A aber in Land B sitzt, wo sein Glücksspiel legal ist und kein völkerrechtliches Abkommen zur Durchsetzung deutschen Rechts auf seinem Territorium existiert, und sich nen Ast lacht, wenn ihn der dumme faule deutsche Polizist dazu auffordert, sein Glücksspielangebot nicht in Deutschland zugänglich zu machen, kann der dumme deutsche Polizist eben nur auf so ein Gesetz hoffen, dass ihn rechtsstaatlich dazu ermächtigt, wenigstens die Internetverbindung mit der deutschen Kundschaft zu erschweren, in dem er Telekom, Alice und Co. dazu verpflichtet, bestimmte (ausländische) Glücksspielserver nicht mehr zu verbinden.

Punkt für Verständnis von Internettechnik, aber dringend Nachhilfe in Sachen Gemeinschaftskunde/Staatslehre erfoderlich. Si tacuisses, lieber fklhil

Lieber Nicht-CDU Wähler,
vielen Dank für diese Anmerkungen. Ich denke, ich werde sie mal in einem Blogartikel auf der Hauptseite diskutieren.

Doch drei Punkte hier:
1) Ein unwirksames Gesetz schadet. Denn es verhindert die Straftaten nicht. Es schafft Bürokratie, Kosten und generiert falsche Anschuldigungen. Es ist vom Grundgesetz nicht gedeckt. Denn das fordert eine Verhältnismäßigkeit.

2) Wie begründen Sie, dass es hilft Internetseiten zu sperren? Wo ist der Beleg der Wirksamkeit. Als Techniker sehe ich nur Belege für die Unwirksamkeit. Darüber hinaus: was sind die Gefahren der Internetsperren? Welche Alternativen könnte man sich vorstellen?

3) Wie kommt es, dass ein fremder Staat etwas als Recht ansieht, dass hier verboten ist? Könnte das nicht Anlass sein, seine eigene Position zu überdenken? Und wenn wir das wirklich getan haben, was müsste dann die Konsequenz aus unserer "kulturellen Überlegenheit" sein?

Ein gefiltertes Deutschlandnetz entspricht nach meiner Meinung keiner "Leitkultur". Denn es ermöglicht Diktaturen sich auf Deutschland zu berufen. Es stützt die Interessen einer Zockerindustrie in Deutschland durch (vermeintliche) Sperrung der ausländischen Konkurrenz. Jugendschutz spielt nach Meinung des EuGH dabei bisher keine Rolle.

Tut mir Leid, das kann ich leider nicht zulassen.

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