Europäisches Urheberrecht: Absprache zur Netzkontrolle

| 0 Kommentare | 0 TrackBacks

 

Eine Übersetzung des Aufrufs von Jérémie Zimmermann and Philippe Aigrain von "La Quadrature du Net".

 

Morgen, am 6.4.2011, findet ein Treffen der Europäischen Kommission statt, auf der über die Zukunft der europäischen Urheberrechtspolitik entschieden wird. Diese Richtungsbestimmung findet unter Umständen statt, die aus demokratischer Sicht äußerst besorgniserregend sind und wesentliche Grundrechte einem Risiko aussetzen - besonders im Hinblick auf das Internet.

Das dem französischen Beauftragten Michel Barnier unterstehende Binnenmarkt-Direktorat hat soeben einen öffentlichen Konsultationsprozess abgeschlossen. Das Ergebnis dieser Konsultation war die Kommentierung eines Berichts, der vorgibt, eine Verträglichkeituntersuchung zur bisher als Fourtou-Direktive bekannten Richtlinie 2004/48/EG IPRED zu sein. In Wirklichkeit gräbt dieses Dokument Argumente und Vorschläge der Unterhaltungsindustrie aus: Die Kultur stehe aufgrund von Onlinepiraterie am Rande des Abgrunds und die einzige Lösung seien repressive Massnahmen, die speziell auf das Internet gerichtet sind.

Diese Bessenheit für neue Repressionen lässt sich ganz leicht erklären, wenn man bedenkt, dass die Kommission in den letzten drei Jahren geheime Verhandlungen mit zwölf Ländern über ein Abkommen gegen Produktfälschungen (ACTA) führte. Getarnt als grundlegendes Handelsabkommen zwingt ACTA seine Unterzeichner, sich beim Kampf gegen Copyright- und Patentverletzungen auf das Internet vor allem mit neuen Sanktionsmöglichkeiten zu konzentrieren.

Nachdem massenhafte Repressalien gegen Filesharer fehlgeschlagen sind, versuchen die gleichen Interessengruppen nun, Unterdrückungsmaßnahmen im Kern des Netzes einzurichten. Mit der Umwandlung der technischen Vermittler (wie Zugangs- und Onlinediensteanbieter) in eine private Urheberrechtspolizei wären diese dann gezwungen, durch Filtern der Nutzerkommunikation ihre Netze und Dienstleistungen zu zensieren, um so mögliche Verstöße zu verhindern.

Mit dieser Verkehrung unseres Rechtsystems würden unvermeidlich unsere Grundrechte schwer geschädigt, insbesondere die informationelle Selbstbestimmung und die Meinungsfreiheit.

Mit der Anregung, die rechtlichen Instanzen zu umgehen, um ein schnelles Blockieren und Filtern des Internets und seiner Dienstleistungen zu ermöglichen, wäre durch die europäischen Entscheidungsträger der Grundstein für eine Zensurinfrastruktur gelegt, wie wir sie nur aus autoritären Regimen wie etwa China kennen.

Eine solche Politik liefe unseren demokratischen Werten und Rechtsgrundsätzen maßgeblich entgegen und kann nur mit Blindheit wenn nicht mit der Trägheit europäischer Politiker erklärt werden. Es scheint, als hörten sie ausschließlich auf die Teile der Unterhaltungsindustrie, deren Geschäftsmodell noch darauf basiert, das Vervielfältigen von Daten zu kontrollieren. Beispielsweise verbreitet die Kommission weiterhin von der Industrie stammende Statistiken, die vom obersten Rechnungshof der USA in seinem jüngsten Bericht als reine Fantasie bezeichnet wurden.

Jede Berücksichtigung der Tatsache, dass das Filesharing für Kultur und ihre Mannigfaltigkeit oder gar für die Wirtschaft vorteilhaft sein könnte, wird systematisch vermieden. Immer mehr unabhängige Studien belegen jedoch, dass die größten Filesharer auch die größten Kunden kommerzieller Anbieter sind ebenso wie Bibliotheksnutzer eifrige Buchkäufer sind. Nichtgewerbliche und gewerbliche Nutzung schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich eher. Auf beinahe gleiche Weise werden neuartige Fianzierungsmodelle, die auf einer Legalisierung des Filesharings beruhen, systematisch von den Europäischen Entscheidern ignoriert, so zum Beispiel die Kulturflatrate, die unter dem Begriff Creative Contribution in Frankreich von der Création-Public-Internet unterstützt wird.

Der schädliche Einfluss der Unterhaltungsindustrie auf den europäischen Gesetzgebungsprozess erreicht sein vorläufiges Maximum mit der Ernennung der bisherigen Leiterin für Rechtsfragen der Lobbyorganisation IFPI Maria Martin-Prat als Referatsleiterin der Urheberrechtsabteilung (Head of the Unit) der europäischen Kommission.

Europäische Staatsbürger und ihre Repräsentanten müssen sich dieser unheilvollen geheimen Absprache, die die Freiheiten und die Infrastruktur des Internets grundlegend bedroht, mit Nachdruck widersetzen. Es ist unverzeihlich, dass die Kommission die Einrichtung einer Internetkontrolle und Zensurinfrastruktur angeregt hat, statt die lang überfällige Verbesserung der bisher an die neuen Nutzungsmöglichkeiten und neuen Technologien nicht angepassten Urheberrechtsgesetze anzustoßen.

Jérémie Zimmermann and Philippe Aigrain, Mitgründer, La Quadrature du Net

Keine TrackBacks

TrackBack-URL: https://ak-zensur.de/mt/mt-tb.cgi/726

Jetzt kommentieren

Pressemeldungen

Und sie halten sich nicht an die eigenen Empfehlungen
Nachdem die Ministerpräsidenten der Länder ende letzten Jahres den neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag abgesegnet haben, sind nun die Parlamente an der Reihe,…
Jugendschutz im Internet: Zurück in die Vergangenheit
Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur warnt vor der geplanten Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV).  Die Bundesländer beabsichtigen die Regeln zum…
Geheimverhandlungen à la ACTA
Bundeswirtschaftsministerium verhandelt Warnhinweismodell unter Ausschluss der Öffentlichkeit Berlin, 13.03. Am kommenden Donnerstag verhandeln das Bundeswirtschaftsministerium,  Vertreter der Inhalte-Industrie und Internetanbieter…
AK Zensur: Verbot von Internet-Sperren in der Verfassung verankern
Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat mehrere Verbände eingeladen, den Referentenentwurf zum Netzsperren-Aufhebungsgesetz zu kommentieren – darunter auch uns. In…
Aktuelle Sperrverfügungen in NRW
Zu den heute bekannt gewordenen Fällen neuer Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf, die auf die Blockade der Websites "bwin.com" und "tipp24.com"…
Arbeitskreis gegen Internetsperren und Chaos Computer Club warnen vor dem Einschleppen von Netzsperren durch neuen Glücksspielstaatsvertrag
Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) und der Chaos Computer Club (CCC) warnen vor dem neuen Glücksspielstaatsvertrag, der…
Erfolg der Vernunft: Gesetz zu Internet-Sperren wird aufgehoben
Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) begrüßt die am Dienstag Abend bekannt gewordenen Pläne des Koalitionsausschusses von CDU/CSU…
Der AK Zensur hat gestern Verfassungsbeschwerde gegen das Internet-Sperr-Gesetz („Zugangserschwerungsgesetz“) eingelegt
Vor einem Jahr ist das Zugangserschwerungsgesetz in Kraft getreten. Das Gesetz verpflichtet Internet-Zugangs-Anbieter dazu, Websites mit kinderpornographischen Inhalten, die auf…
Europäisches Parlament stellt die Weichen gegen verpflichtende Netzsperren in der EU
Straßburg. Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments hat am Montagabend über den Kompromissvorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates…
Scheitern des JMStV ist ein Sieg der Vernunft
Zum Scheitern der Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages durch die Landtage von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Stellungnahmen von einigen Mitgliedern und Unterstützern des…