Pressemappe vom „Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur" inklusive umfangreicher Materialien und Hintergrundinformationen.
Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur fordert:
Kinderporno-Server abschalten - Internetsperren sind wirkungsloser Aktivismus
Mehrere Organisationen aus dem Bereich der Bürgerrechte und des Netz-Aktivismus haben sich zu einem Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur zusammengeschlossen.
Alvar Freude, Internet-Experte und Mitglied im Vorstand des Fördervereins Informationstechnik und Gesellschaft e.V. (FITUG) erklärt:
„Internetsperren im Kampf gegen Kinderpornographie sind wirkungsloser Aktivismus zu Wahlkampf-Zeiten. Web-Server, die Bilder und Filme von Kindesmissbrauch verbreiten, lassen sich einfach aufspüren und abschalten - die meisten stehen in den USA und Westeuropa. Auf den bekannten Sperrlisten aus den skandinavischen Ländern, der Schweiz und Australien sind mehrere Dutzend Webseiten zu finden, deren Server in Deutschland stehen und die genau lokalisiert werden können. Die Bundesregierung und das BKA müssen sich fragen lassen, warum es ihnen trotz Kenntnis bisher nicht gelungen ist, diese abzuschalten.
Es ist naiv zu glauben, dass einmal eingeführte Sperr-Systeme in Zukunft nicht für andere von einzelnen Interessensgruppen unerwünschte Inhalte genutzt werden. Weitergehende Sperren wurden schon ins Gespräch gebracht, beispielsweise für (vermeintliche und tatsächliche) Urheberrechtsverletzungen, ausländische Anbieter von Online-Glücksspiel, islamistische Propaganda, jugendgefährdende Inhalte sowie die Verletzung von Marken- oder Persönlichkeitsrechten. Die Vergangenheit zeigt, dass das Missbrauchspotential nicht nur groß ist, sondern auch genutzt wird."
Christian Bahls, Vorstand des Vereins MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren (MOGIS) erklärt:
„Missbrauchsopfer gegen Internetsperren?
Müsste man nicht gerade als Opfer dafür sein?
Nein. Müssen schon mal gar nicht. Wir haben genug gemusst.
Auch gerade deswegen wollen wir uns hier nicht erneut als Galionsfiguren einer schleichenden Einführung einer Internetzensur missbrauchen lassen. Denn seien wir doch mal ehrlich, da wird doch kein einziges Kind weniger missbraucht, nur weil Frau von der Leyen einfach umgehbare Internetsperren fordert. Dagegen sind die zu erwartenden Einschränkungen der Grundrechte, insbesondere der Rezipientenfreiheit (Artikel 5 GG) und des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 GG) doch erheblich.
Vielleicht sind wir gerade wegen unserer Vorgeschichte sensibilisiert, wir kennen dieses Gefühl, dieses schleichende Eindringen in unsere Privatsphäre, dieses Nachgeben gegen den kontinuierlichen Druck, der Rückzug nach innen, wenn ein Nein nicht fruchtet. Ist es nicht genau das, was die Regierung gerade mit uns macht?
Das BKA scheint nicht in der Lage, die 20 in Deutschland befindlichen Content-Server beschlagnahmen zu können, soll aber demnächst mit der Pflege einer Zensurliste betraut werden?
All dies zeigt uns nur zu deutlich, dass es um eine wirksame Bekämpfung des Missbrauchs an Kindern (und dessen nachträglicher Verbreitung) gar nicht geht! Und deswegen stehen wir für ein zensurfreies Internet ein, als MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren.
Kinderpornographie kann nicht mit Netzsperren bekämpft werden. Die Bundesregierung schaut weg, wenn im Internet die Dokumentation von Kindesmissbrauch kursiert - und verlangt von uns Bürgern ebenfalls wegzuschauen. Unsere Nachbarländer sperren dutzende von Servern in Deutschland, aber die hiesigen Strafverfolger gehen nicht gegen diese vor. Das BKA soll geheime Sperrlisten erstellen, auf denen von den Providern zu blockierende Webseiten aufgelistet sind. Das BKA ist damit Ankläger, Ermittler und Richter in einer Person. Wo bleibt da die Gewaltenteilung, wenn kein Gericht eingeschaltet wird? Wo bleibt die grundgesetzliche Rechtsweggarantie? Es wird keine Strafverfolgung, sondern eine schleichende Internetzensur aufgebaut. Das alles ist nur möglich, weil das Tabu Kinderpornographie instrumentalisiert wird: Das ist so böse, da darf man gar nicht offen drüber diskutieren. Das ist das gleiche Muster wie in den Familien, in deren Umfeld Missbrauch geschieht."
Der Chaos Computer Club (CCC) erklärt:
Ausblendung von problematischen Inhalten schützt nur die Täter
In der aktuellen Diskussion kommt nach Ansicht des CCC die tatsächliche Strafverfolgung der Täter viel zu kurz. Da es sich bei den sogenannten „problematischen Inhalten" um Dokumentationen realer Verbrechen an Kindern handelt, muss dies der eigentliche Fokus staatlichen Handelns sein.
"Eine Ausblendung problematischer Inhalte durch Sperrverfügungen wie von Frau von der Leyen vorgeschlagen würde bedeuten, dass die Taten und die Täter der Wahrnehmung und auch der Strafverfolgung entzogen werden. Staatliche Defizite bei der Verfolgung dieser Straftaten löst man aber nicht dadurch, dass man die Darstellung der Delikte ausblendet", sagte CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn zu dem Vorschlag von der Leyens.
Eine statistische Auswertung der Filterlisten aus der Schweiz, Dänemark, Finnland und Schweden ergab, dass sich mehr als 96% der dort gesperrten Server in westlichen Ländern, vor allem den USA, Australien, Kanada und den Niederlanden befinden. Es ist in keiner Weise plausibel, dass diese Server und ihre Betreiber nicht auf dem Wege der internationalen Kooperation der Strafverfolgungsbehörden aus dem Verkehr gezogen werden können. Offenbar mangelt es hier an politischem Willen, entsprechende Prioritäten zu setzen und die nötigen Ressourcen bereitzustellen. Die Argumentation, man käme an die Täter ja nicht heran und müsse deshalb zu Zugangsbehinderungen greifen, entspricht jedenfalls nicht den Tatsachen. Dass die propagierten „Sperren" mit einfachsten Mitteln zu umgehen sind, ist hinlänglich bekannt.
„Da die Server erst dann auf die BKA-Sperrlisten gelangen können, wenn sie den Ermittlern bekannt sind, gibt es keine Ausrede der Strafverfolger, nicht unmittelbar gegen die Betreiber vorzugehen. Entsprechende Anstrengungen zur internationalen Kooperation und effektiven Strafverfolgung liegen aber offenbar gerade nicht im Fokus der Politik", sagte CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn.
Anstatt also effektive und zielführende Maßnahmen zu ergreifen und das Übel an der Wurzel zu packen, wird versucht, durch Druck auf die Internetanbieter eine Zensurinfrastruktur zu schaffen. Sobald die Technik für Inhaltszensur einmal installiert ist, wird sie zweifelsohne auch für andere Interessen, wie etwa die der Musikindustrie, verwendet werden. Hier wird ohne sachliche Gründe eine Schwelle überschritten, die den Weg zu einem staatlich zensierten Internet öffnet. Beispiele aus den von Frau von der Leyen so hochgelobten skandinavischen Ländern zeigen, dass Sperrfilter dort bereits missbraucht wurden, um eine Diskussion über die Filter selbst zu zensieren. Dabei wurden sachliche Kritiker der Sperrsysteme pauschal als Kinderporno-Freunde diffamiert, um eine sachliche Diskussion zu unterbinden. Ähnliches ist in der Debatte in Deutschland bereits zu beobachten.
Der Chaos Computer Club fordert daher, anstelle einer Internetzensur durch die Hintertür endlich effektive Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und der damit zusammenhängenden Geschäfte zu ergreifen.
„Das Internet spiegelt hier reale gesellschaftliche Probleme wider, die gelöst und nicht verdrängt werden müssen. Die gesetzlichen Grundlagen für die Verfolgung der Täter sind bereits vorhanden, was fehlt, ist ein geschlossenes Vorgehen inklusive der dazu notwendigen personellen Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden. Dass man mit Sperrverfügungen und dem Ausblenden von problematischen Inhalten hier versucht, eine Lösung des Problems zu simulieren, ist bloßer Populismus. Es handelt sich um eine Täuschung der Öffentlichkeit mit dem Ziel der Errichtung einer Zensurinfrastruktur, die einer Demokratie unwürdig ist", fasste CCC-Sprecher Müller-Maguhn die Bedenken des CCC zusammen.
Rochus Wessels (38), Diplom-Mathematiker und Software-Entwickler aus Dortmund, verfolgt die Diskussionen zu Medienrecht, Zensur und Kontrolle im Internet seit Jahren. Zu den aktuellen Sperrforderungen erklärt Rochus Wessels:
„In der aktuellen Diskussion sehe ich immer wieder, wie Frau von der Leyen vernünftigen Argumenten mit sorglos in dem Raum geworfenen Zahlen begegnet, ohne Interesse daran, wie sie zustande gekommen sind und was eigentlich ihre Aussagekraft ist. In meiner Übersicht schreibe ich sehr genau, wo die Zahlen herkommen, wie die Einteilung der Server-Standorte zustande gekommen ist, wo die Fakten herkommen, was Annahmen sind und wie diese gerechtfertigt werden. Jeder kann mein Vorgehen und meine Schlüsse anhand der mitgelieferten Rohdaten und Quellenangaben selber nachprüfen." Rochus Wessles zeigt mit seiner Analyse der Rechtslage, dass gegen fast alle der Server, die unsere Nachbarstaaten sperren, eine juristische Verfolgbarkeit gegeben und daher möglich ist. Die Server, zu denen einige Staaten den Zugang wegen mutmaßlicher Verbreitung von Kinderpornographie blockieren, stehen fast immer, d. h. zu über 99% in Staaten, in denen Gesetze zur Bekämpfung der Kinderpornographie existieren, oder Staaten, die der Schaffung entsprechender Gesetze zugestimmt haben. Die in dieser Auswertung enthaltene Tabelle (auf Seite 3) zeigt, wieviele Server in welchen Staaten betroffen sind und was über die Rechtslage dort bekannt ist."
Siehe auch: Komplette Pressemappe mit weiteren Materialien und Grafiken
Union und FDP sollen sich jetzt darauf geeinigt haben, Websites, auf denen entsprechendes Material gehostet ist, von nun an ein Jahr lang zu löschen anstatt den Zugriff zu blockieren ... sicherlich der erste Schritt zu Besserung!