Internet-Sperren: Jetzt sind die Länder gefordert

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Landesregierungen sollen gegen umstrittenes Internet-Sperr-Gesetz stimmen: Bürgerinnen und Bürger appellieren an die Ministerpräsidenten
Stuttgart, 8. Juli 2009. Bei der Bundestagsdebatte am 18. Juni 2009 wurde das umstrittene Zugangserschwerungsgesetz gegen deutliche Bedenken der Opposition beschlossen. Die Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linkspartei sind auf Landesebene an acht Regierungen beteiligt. Anlässlich der Bundesratssitzung am kommenden Freitag, dem 10. Juli 2009, hat der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur die Landtagsfraktionen der FDP (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen), der Grünen (Bremen und Hamburg) und der Linken (Berlin) in einem offenen Brief zum Handeln aufgefordert. Diese acht Länder stellen mit 39 Stimmen eine Mehrheit im Bundesrat.

In dem bereits letzte Woche verschickten Schreiben, das sich zusätzlich direkt an die vom jeweils kleinen Koalitionspartner gestellten stellvertretenden Ministerpräsidenten wendet, heißt es unter anderem:
 
"Die Bundestagsfraktion Ihrer Partei hat sich mit einem deutlichen Redebeitrag und einem eigenen Entschließungsantrag gegen das Gesetz ausgesprochen. Wir gehen davon aus, dass auch auf Landesebene keine andere Position vertreten wird. [...]
Ihre Partei ist an der Landesregierung beteiligt. Wir bitten Sie deshalb, uns mitzuteilen, welche konkreten Schritte Sie unternehmen werden, um einen Einspruch [...] bzw. die Anrufung des Vermittlungsausschusses bei der Bundesratssitzung am 10.07.2009 durchzusetzen."
 
In der Debatte um das Zugangserschwerungsgesetz waren neben inhaltlichen Mängeln vor allem verfassungsrechtliche Bedenken thematisiert worden. So bezeichnete Dr. Max Stadler (FDP) das Gesetz als "eine Materie, die eindeutig zum Polizeirecht gehört". Polizeirecht sei Ländersache. "Man kann nicht deswegen, weil es um ein hehres Ziel geht, einfach die grundgesetzlichen Kompetenzregelungen übergehen." 
 
Diese Auffassung wird weitgehend einhellig von juristischen Sachverständigen geteilt und war bereits bei der Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages am 27. Mai 2009 angesprochen worden. Prof. Bäcker von der Universität Mannheim kommt in seiner Stellungnahme für den Ausschuss zu dem Schluss: "Dem Bund fehlt die Gesetzgebungskompetenz für das geplante Gesetz." Es sei daher "insgesamt verfassungswidrig".
 
Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur sieht FDP, Grüne und Linke in den Bundesländern mit Regierungsbeteiligung in der Pflicht, ihre Position gegenüber ihrem Koalitionspartner offensiv zu vertreten. Die Länder seien außerdem gehalten, "ihre Kompetenzen zu wahren und derartige Eingriffe nicht widerspruchslos hinzunehmen".
 
Ebenfalls in der letzten Woche haben sich Bürgerinnen und Bürger aus allen 16 Bundesländern direkt an ihre Landesregierungen gewandt. In Briefen an die Ministerpräsidenten rügen auch sie die offensichtliche Verfassungswidrigkeit des Zugangserschwerungsgesetzes. "Die Einschränkung von Grundrechten ist in der Bundesrepublik Deutschland nur in engen Schranken möglich. Sie unterliegt u.a. einem Gesetzesvorbehalt." Dazu zähle auch, dass das entsprechende Gesetz verfassungskonform sei.
 
Die Schreiben nehmen Bezug auf die jeweiligen Artikel der Landesverfassungen, die dem Volk die Staatsgewalt zusprechen und die gewählten Vertreter der Landtage zur alleinigen Volksvertretung und gesetzgebenden Gewalt bestimmen. "Die Bürgerinnen und Bürger Ihres Landes haben ein Recht darauf, dass Landesrecht ausschließlich durch die von ihnen frei und unmittelbar gewählten Vertreter des Landtages diskutiert und ggf. beschlossen wird."
 
Weiter heißt es, die Landesregierung sei durch ihren Amtseid der Landesverfassung und dem Volke verpflichtet. Sie solle deshalb im Bundesrat "im Namen des Volkes" Einspruch gegen das Zugangserschwerungsgesetz einlegen.
 
Alvar Freude vom Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur kommentiert: "Die Bundesratssitzung am Freitag wird zum Prüfstein für die kleinen Parteien." Die Internet-Community erwarte deren Reaktion auf Landesebene mit Spannung. "Die in der Bundestagsdebatte vorgebrachten Kritikpunkte waren eindeutig - die Erwartungen sind hoch."
 
"Das Zugangserschwerungsgesetz wird von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt", so Freude weiter. Nicht umsonst sei die von Franziska Heine eingereichte Petition gegen das Gesetz mit über 134.000 Mitzeichnern die "erfolgreichste aller Zeiten". Die Gesetzeskritiker fürchten den Aufbau einer unkontrollierbaren Zensurinfrastruktur und die Abschaffung der Gewaltenteilung durch die im Gesetz vorgesehene polizeiliche Inhaltskontrolle ohne Richtervorbehalt.
 
"Die Landesregierungen haben es im Bundesrat in der Hand. Sie entscheiden nicht nur über das Zugangserschwerungsgesetz mit all seinen Mängeln und verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie entscheiden auch über das Recht der Bürgerinnen und Bürger ihrer Länder, von den von ihnen in freier Wahl bestimmten Landtagsabgeordneten vertreten zu werden."



Aussender:
Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur)


Pressekontakt:
presse@ak-zensur.de
(0179) 13 46 47 1 (Alvar Freude)



Über den Arbeitskreis gegen Internet-Sperren (AK Zensur):


Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) spricht sich gegen die von der Bundesregierung geplanten Internetsperren aus und fordert eine effektive Bekämpfung von Kindesmissbrauch anstatt einer Symbolpolitik, die nur das Wegschauen fördert, den Opfern nicht hilft und dafür eine Infrastruktur einrichtet, die Grundrechte der Allgemeinheit einschränkt. Er koordiniert die Arbeit der Sperrgegner, freut sich aber gleichzeitig über die vielen Aktivitäten, die dezentral on- und offline stattfinden.

Dem AK Zensur gehören unter anderem an, in alphabetischer Reihenfolge: der Antispam e.V., der Chaos Computer Club, die Initiative falle-internet.de, der FoeBuD e.V, der Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft e.V. (FITUG), das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FIfF), die MissbrauchsOpfer gegen InternetSperren (MOGIS), netzpolitik.org, ODEM.org, Spreeblick, der Trotz Allem e.V. und zahlreiche Einzelpersonen.

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Aufforderung des AK-Zensur an die Landesregierungen dem ZugangserschwerungsG im BR nicht zuzustimmen:http://tinyurl.com/norfog Mehr

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Bundesrat winkt Zensurgesetz durch von Blog of Ingo Jürgensmann zu 10.07.09 17:08

Heute wurde das Zugangserschwerungsgesetz (aka. Zensurgesetz) vom Bundesrat durchgewunken. Zustimmungspflichtig war es eh nicht im Bundesrat, doch hätte dieser dem Gesetz explizit widersprechen können. Einer der Hauptgründe für den Bundesrat, dem Gesetz z Mehr

Letzte Woche fand die 860. Sitzung des Bundesrates statt. Dort sollte unter anderem das viel diskutierte Zugangserschwerungsgesetz an der Tagesordnung sein. Ich versuchte im Vorfeld den Ministerpräsidenten mit einem Schreiben mit einigen Argumenten zu übe Mehr

7 Kommentare

Ach du Scheiße und ich leb im Zensurparteihomeland schlechthin, in Bayern, da glauben die noch das Internet ist vom Teufel besessen und schütten Weihwasser auf Router ... :( das glaub ich in 100 Jahren nicht, das Bayern dagegen stimmt. Anyway, nichts unversucht lassen.

Kann man vom Petitionsausschuss des Bundestages eventuell eine aktualisierte Zahl der Mitzeichner erhalten und dann auch in der Öffentlichkeitsarbeit verwenden?

Man kann nämlich die Petition auch jetzt im Juli immer noch mitzeichnen, wie ich hier auf der Seite lernte. Ich hab's getan - per Fax. Man kriegt dann sogar einen klassischen Brief, vom deutschen Bundestag, wo einem im Auftrag des Vorsitzenden des Petitionsausschusses gedankt wird! Und über das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung soll man später noch eine gesonderte Antwort bekommen...

Ich hoffe, ihr habt in den Schreiben auch erwähnt, daß das ZugErschwG - im Gegensatz zum Entwurf, der dem Bundesrat vorgelegt wurde - auch schon deswegen zustimmungspflichtig ist, weil die Länderhaushalte darin durch Bundesgesetzgebung tangiert werden (und dies ganz unabhängig von der sowieso umstrittenen Gesetzgebungskompetenz).*

So sind nach dem beschlossenen Gesetz nämlich auch mindestens teilweise größere (Landes-)Behörden, Universitäten etc. zur Sperrung und somit Installation und Wartung von Zensurinfrastruktur verpflichtet.

Insofern sollte man nicht nur die "kleinen" Koalitionspartner in den Länderregierungen anschreiben, sondern auch die Ministerpräsidenten bzw. Landesregierungen selbst.
_______
*Im mit heißer Nadel gestrickten Begleittext des endgültigen Gesetzentwurfs war natürlich von Kosten für die öffentlichen Haushalte keine Rede. (Ebenso fehlen die Risiken aus eventuellen Schadensersatzansprüchen von zu Unrecht bzw. fahrlässig oder technisch bedingt (mit-)gesperrten Anbietern oder sogar deren Nutzern.)

Nun schaue ich mir den geänderten Entwurf schon eine ganze Weile an und frage mich, wie das Teil eigentlich durchgehen soll.

Oder kann mir bitte mal jemand verraten, was in §2 Abs. 1 Satz 4 steht, auf den bei den Ordnungswidrigkeiten §13 Abs. 1 verwiesen wird?

Wenn ich in der ersten Klasse richtig aufgepasst habe, endet ein Satz mit einem Punkt (Aussagesatz), Ausrufungszeichen (Ausruf) oder einem Fragezeichen (Fragesatz).

Und wenn ich dann in der ersten Klasse richtig zählen gelernt und im Jurastudium richtig aufgepasst habe, sind in §2 Abs. 1 nur zwei Sätze vorhanden. Satz 1 und Satz 2.

Da ist nicht nur der Begleittext mit heisser Nadel gestrickt worden. Der wurde tatsächlich nämlich gar nicht geändert. Da hat man vielmehr eine geänderte Gesetzesvorlage mal eben schnell zusammengepfuscht.

Natürlich ist dann die Einschätzung hinsichtlich der Kosten im Begleittext auch nicht mehr korrekt. Denn Diensteanbieter gem §§ 2, 8 TMG ist letztlich jeder, der im Rahmen seines Telemedienangebotes fremde Inhalte übermittelt oder den Zugang zur ihrer Nutzung vermittelt.

Die darf das BKA jetzt durchgängig mit der Sperrliste versorgen und natürlich auch beauskunften, ob ein (nicht ihr) Telemedienangebot auf der Liste steht oder irgendwann gestanden hat.

Ich darf also gespannt sein, wann der Anbieter dieses Telemedienangebotes ak-zensur, der hier den Zugang zur Nutzung meiner eigenerstellten und damit für ihn fremden Inhalte über ein Kommunikationsnetz für mindestens 10 000 Teilnehmern oder sonstigen Nutzungsberechtigten ermöglicht (§2 I S1) von denen er nicht sicherstellen kann, dass diese alle über solche Zugänge Zugriff erlangen, bei denen Maßnahmen nach Satz 1 bereits von anderen Anbietern durchgeführt werden (§2 I S.2) und mitteilt, dass er die Sperrliste von BKA erstmals übermittelt bekommen hat.

Hat mal eben jemand für unser liebes BKA eine komplette Liste aller Betreiber von Foren, Gästebüchern, Blogs, Chats etc, damit die überhaupt wissen, wen sie da nun zu benachrichtigen haben?

Woher das liebe BKA die Schreibkräfte bekommen kann, die zur Bewältigung dieser Aufgabe erforderlich sind, ist klar. Da kann man zuerst mal die dann aus naheliegenden unbeschäftigten Beamten der ARGE heranziehen. Der millionste Gastarbeiter bekommt dann einfach wieder mal ein Moped und wir haben endlich wieder Vollbeschäftigung.

Es geht aufwärts...

Die Hessen FDP hat dem Vorhaben im Bundesrat wohl nicht im Wege gestanden, sehr bitter ... wie siehts für andere Länder aus?

no.tales hat Recht, es hat natürlich "Im Begleittext des mit heißer Nadel gestrickten endgültigen Gesetzentwurfs..." heißen sollen.

Zu § 2 Abs. 1 Satz 4: Dort stand vermutlich ursprünglich "Hier finden sie Platz für Ihre Notizen"; man hat lediglich den Bezug in § 13 zu streichen vergessen.

Was die Übermittlung der Sperrliste angeht, ist das natürlich Interpretationssache; hier fehlt leider das Recht des Diensteanbieters, die Übermittlung der Sperrliste einzuklagen, wodurch man eine richterliche Interpretation erzwingen könnte.

Zur Beauskunftung nach § 8 (2) muß leider ein berechtigtes Interesse dargelegt werden, dessen Auslegung wie praktisch sämtliches Handeln wiederum im Ermessen des BKA liegt.

P.S.: Auch dem Bundestag wurde zur 2. und 3. Lesung knapp zwei Tage vorher(!) lediglich ein zweispaltiges "diff" zum ursprünglichen Entwurf vorgelegt. Das ist wohl die "moderne [Form der] Gesetzgebung", von der Martina Krogmann gesprochen hatte.

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