Die Grünen hatten am 18.2 zu einer Veranstaltung im Landtag NRW zum Jugendschutz eingeladen. Der Anreißer war kurz und knapp und versuchte wohl die Debatte „ergebnisoffen“ einzuleiten. Leider konnte ich nicht hin zu der Veranstaltung. Doch das Folgende hätte ich ihnen - oder besser einem bestimmten Teil nicht nur der Grünen - gesagt
Die Grünen meinten:
- Jugendmedienschutz muss effektiv wirken, die Freiheit der Netzkultur schützen und der Netzrealität angemessen sein.
Ich hätte fast gesagt "und wir sind alle eine nette Familie". In Österreich wurde das Wahlalter auf 16 herabgesetzt und auch EU/DE gibt es ähnliche Ideen. Jugendliche sollen also wählen, doch angemessen vor der Netzrealität geschützt werden? Steht die "Freiheit der Netzkultur" in direktem Widerspruch zur "Netzrealität"? Oder sollte man nicht überlegen, ob ein Medienschutz überhaupt etwas mit der Kommunikation über das Internet zu tun hat.
Internet ist Kommunikation
Wenn es einen Widerspruch gibt - und das ist doch ein Kerngedanke der Jugendmedienschützer im Bezug auf das Internet - wie lange ist das noch der Fall? Jeder Schritt in Richtung Interaktivität im Internet hebt die Trennung von Anbieter und Konsument mehr auf. Jede Reglementierung wird immer mehr zur Reglementierung von multidirektionaler Kommunikation werden.
Liebe Freunde unter den Grünen:
- Bitte versteht, dass mit IPV6 jede "Kaffeemaschine" am Internet hängen wird. Grenzen, Vorurteile durch Hautfarbe, Religion, Sprache und Sitten, Einschränkungen der Kommunikation, eine Leitkultur oder nationales Weltbild wird es für unsere Kinder einfach - wenigstens exemplarisch nachweisbar - nicht mehr geben. Jedenfalls dann, wenn wir sie kommunizieren lassen.
- Wer allerdings das Internet ausschließlich z.B. als Webshop versteht, der hat überhaupt kein Interesse daran, dass sich das Internet in diese Richtung weiterentwickelt. Eine Reglementierung reduziert die Angebote, stärkt die eigene Position und verhindert unliebsame Kommentare. Wie diese Angebote zu werten sind, dass zeigt z.B. das Erotikportal der Telekom und die Tatsache, wer in der KJM welche Rolle spielt.
Das ist weniger Kapitalismuskritik, als es hier erscheint. Im Gegenteil. Ohne kreative Unternehmen gäbe es kein Internet. Ich hätte genau so politische oder "moralische" Instanzen aufführen können. Soll sich der den Schuh anziehen, dem er passt. Ich hoffen hier auf die Medienkompetenz des Lesers an der Stelle von Reflexen oder Schubladen.
Das Ausland
Ich weise – ganz ähnlich wie etwa Malte Spitz - darauf hin, dass mit dem JMStV hingenommen genommen werden sollte, wenn ausländische Seiten ohne Label für Jugendliche geblockt werden.
Wie verhält sich diese Idee zu den Dingen, die ich aus IPV6 ableitete? Unabhängig davon ob einzelne meiner Kriterien wünschenswert sind – so liegt ja so manchem viel an der Leitkultur – mir scheint, wir wollen das einfach nicht. Wir reden höchstens von Europa. Doch schon die Griechen sind alle korrupt, taugen nicht einmal mehr als Markt, wenn sie pleite sind. Unmöglich wenn dann ein Kind einmal mit einer Griechin chattet und begreift, dass ihre Lebenswirklichkeit so anders nicht ist. Von Südamerika oder Afrika ganz zu schweigen. Das verstehe ich unter "Freiheit der Netzkultur schützen und der Netzrealität angemessen sein". Sie sind untrennbar miteinander verbunden, bedingen einander, gestalten die Realität. Sicher nicht alleine, doch heute immer mehr. Kommunikation ist das, was den Menschen ganz wesentlich auszeichnet.
Medienkompetenz
Besonders wichtig ist der Politik heute die Medienkompetenz. Die Grünen formulieren das so:
- Die Stärkung der Medienkompetenz in allen Lebensbereichen ist darüber hinaus eine zentrale Herausforderung.
Ich habe den Eindruck, dass der Begriff Medienkompetenz so undefiniert ist, das er von Interessenvertretern beliebig - in der Regel als Schlagwort - verwendet wird. Doch Medienkompetenz hat nichts mit gesellschaftlichen Vorstellungen und Vereinbarungen und schon gar nichts mit kommerziellen oder politischen Interessen zu tun.
- Medienkompetenz ist die Fähigkeit Absichten und Interessen einer Publikation oder Aussage zu erkennen.
Dazu aber muss der Zugang zur Publikation oder wenigstens zu Sekundärinformationen zunächst einmal möglich sein. Jugendmedienschutz bedeutet primär, dass Kinder und Jugendliche befähigt werden, bei schädlichen Angeboten eben nicht in ein Loch zu fallen. Dazu gehört es insbesondere auch zu lernen Werbung, Absichten, Interessen und Fallen zu erkennen. Wenn Kinder dazu nicht in der Lage sind - und das sind sie unter 12/16/18, oftmals nicht einmal unter 30+ nicht so einfach - dann müssen Gesellschaft, Schule, Eltern usw. sie aktiv begleiten. Kümmert Euch um Eure Kinder! Es ist nicht möglich, sie mit Gefahren alleine zu lassen. Insbesondere ist es fahrlässig, sich auf technische Lösungen, Filter, auf die Einschätzung Dritter - auch nicht die einer FSM oder jugendschutz.net - blind zu vertrauen. Die Idee des Erziehungsroboters und Automatismus ist kontraproduktiv.
Liebe Grüne, ihr erinnert Euch, eure eigene Webpräsenz wurde von jugendschutz.net als für Jugendliche ungeeignet deklariert. Dies zeigt das konkrete Gefährdungspotential für Kinder und Jugendliche.
Lösungen?
In der momentanen Gesellschaft ist nicht zu verhindern, wenn Menschen mit schädlichen Angeboten konfrontiert werden. Es ist nicht zu verhindern, selbst dann nicht, wenn das Angebot nur auf einige Dutzend Seiten einer noch so gut gemeinten whitelist beschränkt ist. Wer das Problem lösen möchte, der ist gezwungen Jugendliche vorzubereiten und kompetent zu machen. Dazu müssen ihnen entsprechende Angebote gemacht werden. Statt Kundenbindung auf toggo.de könnten Kinderseiten untereinander verlinken. Suchmaschinen für Jugendliche könnten gefördert werden statt mit einem Labelzwang der mühselig ausgesuchten Inhalte beraubt werden. Positive Verstärkung statt Verbote.
Andernfalls werden die nächsten Generationen genau so versagen, wie wir es jetzt tun. Habe wir immer noch nichts gelernt? Die Probleme, die uns den Jugendschutz gebieten, die sind durch uns verursacht!
Internet ist kein Radio
Die Situation im Internet ist grundsätzlich anders, als beim Kino, Radio, Zeitschriften oder TV. Eine Lösung kann nicht über einen Medienstaatsvertrag erreicht werden. Eine Lösung hat nichts mit den Regulierungsmöglichkeiten klassischer Medien zu tun. Jegliche Regulierung trifft nicht nur - wenn überhaupt - verwerfliche Inhalte im Internet, sondern vornehmlich Individual- und insbesondere jegliche multidirektionale Kommunikation. Wer das anzweifelt, der sollte überlegen, was denn das WEBx.0+, Twitter, Facebook und Co. trotz aller Datenschutz- und Sicherheitsprobleme bewirkt. Der sollte überlegen, wie viele Seiten es im Netz gibt und es in Zukunft geben wird. Der sollte die maximale Anzahl gefilterter Seiten in das Verhältnis dazu setzen. Der Quotient geht gegen Null und wird es in Zukunft immer mehr tun.
Internetkontrolle
Der vollkommen hoffnungslose Versuch der Internetkontrolle entspringt einem unrealistischem und rückwärts gewandtem Bild des Netzes, der naiven Unterteilung in aktive Sender und konsumierende Empfänger, das nur noch von der Idee des "rechtsfreien Raum Internet" getoppt wird. Dabei ist längst nachgewiesen, dass Gesetze und Regeln im Internet durchaus nicht versagen. Das Gegenteil ist der Fall.
- Öffentlichkeit ist heute schon so gefährlich, dass man davon ausgehen muss, sie sei unerwünscht.
Mir scheint, Jugendmedienschutz im Internet ist der Versuch, Jugendliche vor der eigenen - nicht die der Jugendlichen - Unmoral zu schützen. Er ist nichts als der Reflex mit dem Finger auf die Anderen zu zeigen. Wie anders ist es zu erklären, wenn heute angeprangert wird, schädliche Seiten würden massenhaft konsumiert und gleichzeitig verzweifelt nach innovativen Modellen gerufen, nach der Rolle und Leistungsfähigkeit von Medienkompetenz gefragt wird. Ich bin wirklich verärgert. Wie wäre es denn einmal damit, es einfach seinzulassen und die Schere aus dem Kopf zu entfernen? Muss ich wirklich noch deutlicher werden?
Die Position der Jugendlichen
Wer sich als verantwortlicher Teil dieser Gesellschaft begreift, der würde Jugendliche einmal fragen. Der könnte etwas lernen. Die Gefahr der Pornographie oder der Nazisprüche relativiert sich sehr schnell. Selbst jüngere Jugendliche sagen mir wörtlich und wiederholt:
- Wenn ich einen Inhalt nicht will, dann sehe ich ihn mir nicht an. Ich gerate nicht versehentlich auf irgendwelche Seiten. Und wenn doch, dann sind die schneller weggeklickt, als ich drauf gekommen bin.
Würden wir es wie sie tun, so gäbe es schnell nichts mehr, dass wegzufiltern wäre. Die wirklichen Probleme stecken anderswo. Die sind keinesfalls zu ignorieren! Deine und meine Moralvorstellung oder Rechtsauffassung ist nicht die einzige Möglichkeit - schon gar nicht in einer globalisierten Welt. Nur unter dieser Prämisse kann überhaupt eine sinnvolle Lösung gefunden werden. Mehr noch, unter dieser Prämisse liegt die Lösung auf der Hand. Wer vermutet, ich lehne jede Regel, jede Vernunft ab, würde alle Probleme oder gar Verletzbarkeit von Kindern leugnen, der liegt vollkommen falsch. Doch ich kämpfe nicht gegen Windmühlen, schon gar nicht für Einzelinteressen. Ich will starke Kinder.
Starke Kinder
Die Lösung ist unangenehm. Starke Kinder widersprechen und nerven - glücklicherweise. Doch vor allen Dingen ist sie unangenehm, weil sie die Erkenntnis verlangt, dass das Internet der Spiegel der Gesellschaft der Erwachsenen ist. Das Internet ist nichts als der Bote auch des schlechten Teils der Nachricht. Versuchen wir ihn zu hängen? Nun, das wird nichts an der Wahrheit der Nachricht ändern. Ein Staatsvertrag wird nichts an der Realität ändern. Doch er hat das Potential uns die schlechte Nachricht zusammen mit der Rezipienten und Meinungsfreiheit vorzuenthalten. Diese Nachricht ist keine Propaganda oder Hetze. Sie ist nicht einmal eine Lüge. Sie ist Realität und damit bietet sich die Möglichkeit es endlich besser zu machen.
und das freie Internet
Ein freies Internet hat das Potential für unsere Kinder eine Welt zu ermöglichen, von der wir seit tausenden von Jahren nur träumen können. Globale Partizipation, teilen von Wissen und Kultur. Wollen wir wirklich zulassen, dass sexuelle Ausbeutung von Menschen und verschrobene politische Vorstellungen diese Utopie nur mit dem Ziel des eigenen miesen Vorteils zerstören? Die Wurzel des Übels ist die Angst der alten Herren gepaart mit Unwissen bis zur Blindheit. Begreift, dass alleine die Existenz von Menschenrechtsverletzungen hinreichend ist, gegen sie vorzugehen – wenn, ja wenn wir denn darum wissen. Das Internet könnte dabei eine wesentliche Rolle spielen. Es entlarvt unbarmherzig und mit mathematischer Präzision die Realität für den der denken kann. Wissen, Aufklärung und Dokumentation stehen auf der Seite der Menschenrechte. Das erschüttert selbst die schlimmsten Diktaturen. Das Mittelalter ist vorbei. Doch wir sind gerade dabei, unsere Jugend feige davor zu "schützen".
Enthalten wir uns diese Nachricht des Internet vor, leugnen wir sie, dann drohen wir und unsere Kinder unwissend, unrealistisch, damit dümmer, verletzlicher und schweigsam zu werden. Die Konsequenz führt zum genauen Gegenteil von "Medienkompetenz". Das kann und darf - schon gar nicht politisch - gewollt sein.
Nun, es gibt ja wenig selbstkritische Statements zu den "dunklen Seiten" des Internets - erstmals hat unlängst Peter Redvoort in "Pornos machen traurig" zugegeben, dass Pornokonsum sehr wohl den Blick auf Frauen verändert ...
G.P.
Also ich mit meinen 20 Jahren habe auch schon ganz schön viel Müll im Internet gesehen. Sowas bekommt man halt einfach mit, wenn Freunde einem im Alter von 12, 13 schon einen Link zu rotten.com damals schickten oder zu einer Seite, die aus Fotos von ... ja... extrem verunglückten Menschen besteht. (Wer auch immer sowas ins Netz stellt.. Diese Intention kann ich zB überhaupt nicht nachvollziehen.)
Ist die Reaktion auf solche Vorfälle die Frage nach Medienkompetenz? Ich persönlich klicke tatsächlich Webseiten, die ich nicht sehen möchte einfach weg. Das Problem ist nur, dass Menschen schaulustig sind. Alles, was anders, absurd ist, gucken sie sich an, aber Natur des Menschen ist es auch nachzudenken, zu reflektieren. Somit nehmen 'starke Kinder' sicherlich normalerweise keinen Schaden davon.
Für mich bedeutet Medienkompetenz nicht nur darin die Absicht des 'Senders' zu hinterfragen, sondern auch darin, sich anschließend eine Meinung darüber zu bilden.
Es ist nur schwierig dies Kindern verständlich zu machen.
Als harmloses Beispiel nehmen wir mal diesen Internet-Youtube-Guru 'HerrTutorial' ... Wie sollen 12 oder 13 jährige verstehen, dass er einfach Geld für seine Videos kriegt und dafür die YouTube-Tags mit 'Justin Bieber' vollspammt, nur um Klicks zu bekommen?
Das ist natürlich jetzt nicht relevant, da es den Kindern in dem Sinne ja nicht schadet.
Aber andere 'korruptere Internetfirmen' machen es nicht anders. Einfach nur Geld damit machen. Kinder verarschen.
Die Idee mit dem positiven Verstärken und ein Kindernetz aufzubauen finde ich daher sehr richtig, sinnvoll und gut, nur dann müsste mal jemand anfangen, sowas auch tatsächlich aufzubauen. Da haben die Politiker sicherlich keine Lust zu xD.
So Statement Ende.
mfg, Lucia.
Hier noch ein paar Infos zum Thema:
Eine Zusammenfassung, was da abgelaufen ist:
http://sectio-aurea.org/2011/02/23/jmstv-auf-ein-neues-die-jugendmedienschutz-veranstaltung-der-grunen-im-landtag-nrw/
Mitschnitt (ggF. weiter klicken, hab's noch nicht gehört)
http://politfunk.de/live/pl027/
Notizen, die mir sehr zu denken geben:
http://mrtopfde.posterous.com/
Ich finde es nach wie vor Quatsch zu behaupten, dass Pornographie den Blick auf Frauen verändert. Genauso, wie ich es ablehne, von "dunklen Seiten" in Bezug auf Porno und Erotik zu reden.
Ich konsumiere seit ca. 20 Jahren Pornos und habe auch schon derartige Inhalte selber produziert. Trotzdem achte ich Frauen nach wie vor als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft und setze mich auch politisch für Emanzipation ein (durch Aktivitäten in linken Organisationen).
Ähnlich wie bei der "Killerspiel"-Debatte ist es doch eher so, dass eine Störung schon vorhanden ist, statt dass sie erst durch den Konsum derartiger Inhalte entsteht. Denn wenn dem nicht so wäre, würden neben millionen Amokläufern auch millionen Vergewaltiger umherrennen, besonders in Staaten, die bezüglich Pornographie und Gewaltspielen viel liberalere Gesetze haben. Im Gegenteil ist zu beobachten, dass in liberaleren Ländern derartige Straftaten eher noch weniger auftreten, statt dass dort das totale Chaos herrscht.
Nach wie vor scheint bezüglich Sexualität eine Ansicht zu bestehen, dass sie im Allgemeinen etwas Schmutziges, Abwertendes ist. Und ich wage zu behaupten, dass es eher genau diese Ansicht ist, welche zu einem unfreihen Verhältnis und gelegentlichen Verhaltensauffälligkeiten führt.
Verrigeln und versperren von unliebsamen Inhalten nährt dieses Image von "dunkel", "verboten" und "unsittlich" und trägt ein Missbrauchpotential in sich.
Durch eine Regelung des Internets und deren Inhalten werden wir uns bzw. wird die Gesellschaft immerweiter von Wissen isoliert und somit ein weiterer selbstbestimmter Fortschritt unterbunden.
Eine Gesetzgebung in der Art mit diesem Ansatz ist für mich eindeutig eine Menschenrechtverletzung in mehreren punkten.
Hey,
also dieser Abschnitt / Aussage trifft den Nagel auf den Kopf:
"Wenn ich einen Inhalt nicht will, dann sehe ich ihn mir nicht an. Ich gerate nicht versehentlich auf irgendwelche Seiten. Und wenn doch, dann sind die schneller weggeklickt, als ich drauf gekommen bin."
Interessant finde ich, dass jugendschutz.net selbst auf Erotik-Webseiten verweist - siehe:
http://www.webstimme.de/2011/09/29/jugendschutz-net-verbreitet-pornos-im-netz-pornosuchmaschine/
Jaja so ist das mit dem Gesetz... es ist nicht für alle gleich... leider...
Weiter so! WIR dürfen uns nicht untergriegen lassen!
LG
Jochen