Zusammenfassung:
- Die Bundesländer machen wieder einen neuen Anlauf zum JMStV.
- Quasi alle Webseitenbetreiber „sollen“ laut JMStV alle ihre Webseiten mit Alterskennzeichen (6, 12, 16, 18) versehen.
- Sollen dann auch Youtube-Filmchen, Facebook-Texte und Tweets Alterskennzeichen tragen? Denn nach dem neuen Entwurf müssen Betreiber von gewerbsmäßigen Webseiten mit nutzergenerierten Inhalten den Nutzern eine Möglichkeit der Alterskennzeichnung anbieten.
- Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hätte am liebsten Zwangsfilter für alle, beim Provider. Zensursula lässt grüßen.
- Wir brauchen Eure Mithilfe: Schaut auf Euren Servern, wie viele Nutzer denn ein von der KJM „anerkanntes Jugendschutzprogramm“ installiert haben und beteiligt Euch an der Kommentierung des neuen JMStV-Entwurfs der Länder!
Die Bundesländer versuchen sich weiterhin an einer neuen Version des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV). Immerhin stellen sie ihn wieder öffentlich zur Diskussion, wir dürfen ihn also alle kommentieren. Und bitte, liebe Leser, macht das auch! Ich habe die Hoffnung noch nicht vollkommen aufgegeben, dass dies irgendwann doch noch zu einer modernen und nicht rückschrittlichen Gesetzgebung führen kann. Schließlich lässt sich Fritz Jaeckel, Chef der federführenden sächsischen Staatskanzlei, in der Pressemeldung so zitieren:
Wir freuen uns und sind gespannt auf Reaktionen, Anregungen und Hinweise der interessierten Öffentlichkeit. Dies ist ein ganz entscheidender Punkt in dem gesamten Prozess und für uns auch eine Art Praxistest.
Dann bin ich mal gespannt, ob er denn weiter vom anderen Teil seines Zitats überzeugt ist, wenn der Praxistest zum wiederholten male scheitert:
Mit dem jetzt vorgelegten Staatsvertragsentwurf haben die Länder einen wichtigen Schritt hin zu einem zeitgerechten Jugendmedienschutz zurückgelegt.
Zeitgerecht soll er sein, der neue Entwurf zum JMStV; der zunehmnden „konvergenten Medienwelt“ gerecht werden, also der Verschmelzungen der verschiedenen Medien gerecht werden. Dabei ist er alter, seit über 12 Jahren gescheiterter Wein in neuen Schläuchen. Das Internet wird mit der Medienkonvergenz nicht wie Fernsehen und Kino. Nein, es wird auch wie Flugblätter, Zeitungen, Zeitschriften, Theater, Radio, Stammtisch-Unterhaltungen, Gespräche an der Bushaltestelle, ebenso wie ein Fotoalbum, (privates oder öffentliches) Videoarchiv, eine Pinnwand, Experimentierlabor, natürlich auch wie Shopping-Kataloge oder die Telefonauskunft … und die beste Metapher für das Internet ist auch 2015 wie Anno 1997 immer noch das Telefon. Denn auch das Telefon ist ein flexibles Medium der eins-zu-eins-Kommunikation. Es kann jedoch auch zur einer-zu-vielen oder viele-zu-viele-Kommunikation genutzt werden – es ist somit interaktiv, jeder kann zum Sender werden. Wie das Internet. Bertolt Brecht hätte seine Freude daran und könnte seine Wünsche aus der Radiotheorie endlich verwirklichen.
Die Rundfunkkommission der Länder macht aus dem Internet aber wieder simplen Rundfunk. Der Geburtsfehler des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags wird fortgeschrieben, aus dem Scheitern der Änderungen von 2010 haben sie nichts gelernt: der neue JMStV setzt wieder auf Internet-Filter, „anerkannte Jugendschutzprogramme“ sollen die Eltern installieren, und wer irgendwas ins Netz stellt soll gefälligst ein maschinenlesbares Schildchen drauf kleben: ab 6, 12, 16 oder 18. Dabei sind die Eltern viel schauer: sie boykottieren die Filter, nur ein Bruchteil der Nutzer haben ein von der Komission für Jugendmedienschutz (KJM) „anerkanntes Jugendschutzprogramm“ installiert – obwohl es seit über drei jahren kostenlos „anerkannte“ Programme gibt nutzt sie kaum jemand. Wie viele Nutzer es genau gibt ist nicht klar, bisherige Tests und Schätzungen finden meist nur rund 0,005% der Nutzer mit einem solchen Filter, bei kleinen wie auch großen Webseiten mit mehr als 10 Mio Besuchen im Monat – wir freuen uns aber über mehr Zahlen und mehr Webseitenbetreiber, die mitzählen. Wie das geht habe ich nebenan beschrieben. Klar ist aber: die Nutzungszahlen sind marginal.
Die nächste Eskalationsstufe ist damit vorprogrammiert: die KJM fordert schon jetzt zwangsweise vorinstallierte Filter nach britischem Vorbild bei den Access-Providern. Damit sind wir quasi bei Zensursula Reloaded, auch wenn die Filter – noch – abschaltbar sein sollen.
Sollen. Apropos sollen! Noch aktueller als die Wünsche der KJM ist der Entwurf des JMStV. In §11 Abs. 4 heißt es:
Wer gewerbsmäßig oder in großem Umfang Telemedien verbreitet oder zugänglich macht, soll auch die für Kinder oder Jugendliche unbedenklichen Angebote für ein geeignetes Jugendschutzprogramm nach § 11 Abs. 1 und 2 programmieren, soweit dies zumutbar und ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.
„Soll“ bedeutet juristisch in etwa „muss mit Ausnahmen“ – im Zweifel streitet man sich über die Ausnahmen dann vor Gericht. Klar ist der Wunsch der Regulierer: möglichst viele Inhalte im Netz sollen mit einem Alterskennzeichen versehen werden. Was für sowieso bewertete Spiele und Filme kein Problem ist, ist für Betreiber von vielen Webseiten nicht mehr so verhältnismäßig einfach – zumal die richtige Bewertung für Laien auch nicht trivial ist.
Eine Änderung im neuen JMStV hat es in sich: wer nutzergenerierte Inhalte hat, muss auf Nutzer-Wunsch die Möglichkeit der Kennzeichnung implementieren. § 11 Abs. 6 soll lauten:
Von Diensteanbietern, die gewerbsmäßig fremde Informationen für Nutzer speichern, kann der Nutzer verlangen, dass der Diensteanbieter ihm die Alterskennzeichnung nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 technisch ermöglicht.
Das betrifft viele Plattformbetreier von Youtube über die Wikipedia bis hin zum kleinen Blogger, von der großen bis zur kleinen Community, sofern eine (wenn auch kleine) Gewinnerzielungsabsicht besteht. Die großen wird es weniger stören als die kleinen, auf die damit relativ viel Arbeit hinzu kommen kann.
Und die Probleme einer richtigen Bewertung sind damit nicht gelöst. Viele Youtuber werden also möglicherweise bald vor der Frage stehen: ist ein Let's Play Video eines Spiels ab 18 nun … ja, ab welchem Alter? Reicht ab 16, weil nicht Interaktiv? Was ist, wenn ein 12er Spiel mit saftigen Kommentaren garniert wird? Und mir scheint, dass diese Vorschrift sich tatsächlich an Youtube unc Co. richtet. Schließlich ist das für Kinder sehr interessant – aber die vielen vielen grausamen Filme, die für 6-jährige nicht geeignet sind! Daher: so mancher Filter sperrt es derzeit einfach komplett.
Und wer soll die ganzen alten Videos bewerten? Und die Videos aus dem Ausland? Millionen Katzen- oder gar Eichhörnchen-Videos? Wer soll die ganzen Texte in der Wikipedia bewerten? Milliarden an alten Webseiten? Online-Zeitungen? Private Blogs? Mode-Blogs? Wie soll Echtzeitkommunikation eingestuft werden? Mit der allgemeinen Alterskennzeichnung haben die Länder wie absehbar mal wieder einen Bock geschossen. Deutschland ist das einzige Land, das auf diese Art des Möchtegern-Jugendschtzes zurückgreift.
Nicht zu vergessen: die von der KJM „anerkannten Jugendschutzprogramme“ sind weitgehend grausam, schlecht zu bedienen, in der Praxis nur schwer zu benutzen (beispielsweise der Telekom-Filter blockiert standardmäßig immer noch alle verschlüsselten Verbindungen für unter 16-jährige und damit beispielsweise Youtube) und spionieren das Nutzungsverhalten der Kinder aus.
Die Rundfunkkommission der Länder will der Medienkonvergenz Rechnung tragen. Also der Verschmelzung der unterschiedlichen Medien im Internet. Aber warum sollen Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Unterhaltungen und so weiter im Internet mit einer Alterskennzeichnung versehen werden, offline aber nicht? Warum beschränken sich die Länder nicht darauf, nur eine Alterskennzeichnung für solche Inhalte zu verlangen, die auch offline gekennzeichnet werden, also beispielsweise FSK-geprüfte Filme und und USK-geprüfte Spiele? Und aus Kinder- und Jugendschutz-Sicht darf man nicht vergessen: die eigentlichen Risiken des Internets sind Kommunikationsrisiken – vom Mobbing über (sexuelle) Anmache bis hin zu Betrügereien aller Art. Die einzige Antwort, die der JMStV hat, sind Filterprogramme. Aber die helfen dort rein gar nichts.
- Aktuellen JMStV-Entwurf diskutieren
- Tatsächliche Nutzung von „anerkannten Jugendschutzprogrammen“ zählen
- Weitere Kritik gibt es bei heise online
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