Mangelhafte Organisation der Polizei verhindert Löschen krimineller Webseiten / Studie der Universität Cambridge bestätigt
Berlin, 4. Juni 2009. Mangelhafte Organisation und bürokratische Abläufe beim Bundeskriminalamt (BKA) behindern den Kampf gegen kinderpornographische Inhalte im Internet. Diesen Skandal hat jetzt eine Äußerung der Parlamentarischen Geschäftsführerin der CDU/CSU-Fraktion, Martina Krogmann, in einem Beitrag auf der Internet-Plattform abgeordnetenwatch.de zutage gefördert.[1]
Bekannte Webseiten mit Darstellungen von Kindesmissbrauch würden nicht kurzfristig gelöscht, weil Hinweise auf dem Dienstweg versanden, so die Berichterstatterin der CDU/CSU für den umstrittenen Gesetzentwurf zur Einrichtung von Internet-Sperren in Deutschland. Sie bestätigt damit indirekt die Ergebnisse einer jüngst bekannt gewordenen Studie der Universität Cambridge, nach der kinderpornographische Webseiten wesentlich länger im Netz verbleiben als andere illegale Inhalte.
Krogmann zufolge können solche Seiten bei Hosting-Anbietern im Ausland nicht gelöscht werden, weil das BKA entsprechende Hinweise zunächst auf dem internationalen Dienstweg an die ausländischen Polizeibehörden weiterleitet, anstatt direkt die Provider zu benachrichtigen. Hiermit wolle das BKA Rücksicht auf die Befindlichkeiten ausländischer Behörden nehmen.
Wörtlich erklärte Krogmann in der Antwort bei Abgeordnetenwatch: Das BKA "informiert die jeweiligen Polizeibehörden über die dafür vorgesehenen internationalen Organisationen. Dieser Weg nimmt einige Zeit in Anspruch. Da die fraglichen Seiten oft nur einige Tage ihre Domain behalten, ist die Seite schon weitergewandert." Die Einhaltung des Dienstweges, so Krogmann weiter, rechtfertige das BKA mit der "Achtung vor der Souveränität der Staaten".
Deutsche Provider zeigen sich auf Nachfrage verwundert über diese Aussagen. "Wenn ausländische Behörden uns über strafbare Inhalte auf unseren Servern informieren, prüfen wir das genauso wie entsprechende Meldungen aus anderen Quellen", erklärt Andreas Maurer, Pressesprecher beim Webhoster 1&1. "Und dann nehmen wir die Inhalte vom Netz und erstatten gegebenenfalls selbst Strafanzeige bei den deutschen Behörden. Erst recht bei Kinderpornographie!"
Für den Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur sind die Aussagen der Unionspolitikerin unfassbar. "Offenbar sind für das BKA bürokratische Abläufe ein höheres Gut als die Menschenwürde missbrauchter Kinder", erklärt Alvar Freude, Mitgründer des AK Zensur. "Löschen statt Sperren ist möglich, aber der 'Dienstweg' soll dem entgegen stehen?"
Die Äußerungen von Frau Krogmann erklären zugleich die Ergebnisse einer Studie der Universität Cambridge.[2] Demnach sind Banken im Kampf gegen strafbare Inhalte im Netz wesentlich effektiver. Betrügerische Webseiten, mit denen Kontodaten von Bankkunden ausgespäht werden sollen - so genannte "Phishing"-Seiten -, werden durchschnittlich binnen vier Stunden vom Netz genommen. Kinderpornographische Webseiten werden dagegen erst nach durchschnittlich 30 Tagen gelöscht, wie die Wissenschaftler Tyler Moore und Richard Clayton der Universität Cambridge in ihrer Studie festgestellt haben.
Dabei existieren schon heute Alternativen zu den ineffizienten Behörden-Dienstwegen. So kontaktiert etwa das von der EU initiierte internationale Netzwerk INHOPE direkt die Provider, damit kinderpornographische Inhalte an der Quelle gelöscht und Beweise zur Ergreifung der Täter gesichert werden. Auch der AK Zensur hat mit unbürokratischen Hinweisen erfolgreich zahlreiche kinderpornographische Webseiten abschalten lassen.[3] Werden dagegen Internet-Sperren eingesetzt, versagen diese Mechanismen. Die illegalen Inhalte bleiben weiter im Netz, die Betreiber werden vorgewarnt und der Missbrauch unschuldiger Kinder fortgesetzt.
"Die Befürworter der Netzsperren stellen sich ein Armutszeugnis aus", zeigt sich die Initiatorin der Petition gegen Internetzensur[4], Franziska Heine, empört. "Frau von der Leyen bekämpft Probleme, die hinter ihrem Rücken das BKA selbst verursacht. Der Kampf gegen Kinderpornographie im Internet sollte mit mehr Sachkenntnis, Ernsthaftigkeit und wahrem Engagement geführt werden - das sind wir den Missbrauchsopfern schuldig!"
[1] http://www.abgeordnetenwatch.de/dr_martina_krogmann-650-5576--f186555.html#q186555
[2] Tyler Moore, Richard Clayton: The Impact on Notice and Take-down, Computer Laboratory, University of Cambridge, Seite 20. Online verfügbar unter: http://www.cl.cam.ac.uk/~rnc1/takedown.pdf
[3] http://ak-zensur.de/2009/05/loeschen-funktioniert.html
[4] https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=3860
Aussender: Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur)
Web: http://ak-zensur.de/
Pressekontakt:
Alvar Freude
presse@ak-zensur.de
(0179) 13 46 47 1
Über den Arbeitskreis gegen Internet-Sperren (AK Zensur):
Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) spricht sich gegen die von der Bundesregierung geplanten Internetsperren aus und fordert eine effektive Bekämpfung von Kindesmissbrauch anstatt einer Symbolpolitik, die nur das Wegschauen fördert, den Opfern nicht hilft und dafür eine Infrastruktur einrichtet, die Grundrechte der Allgemeinheit einschränkt. Er koordiniert die Arbeit der Sperrgegner, freut sich aber gleichzeitig über die vielen Aktivitäten, die dezentral on- und offline stattfinden.
Dem AK Zensur gehören unter anderem an: der Antispam e.V., der Chaos Computer Club, der FoeBuD e.V, der Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft e.V. (FITUG), das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FIfF), die MissbrauchsOpfer gegen InternetSperren (MOGIS), netzpolitik.org, ODEM.org, Spreeblick, der Trotz Allem e.V. und zahlreiche Einzelpersonen.
Über Alvar Freude
Alvar Freude ist Mitglied im Vorstand des Fördervereins Informationstechnik und Gesellschaft e.V. (FITUG) und Mitgründer des Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur.
Er ist Vater einer zweijährigen Tochter und beschäftigt sich seit über zehn Jahren intensiv mit dem Thema Internet-Sperren/Filter/Zensur. Seine Diplomarbeit insert_coin ist ein Internet-Filter-Experiment und wurde mit dem Internationalen Medienkunstpreis 2001 vom ZKM und SWR ausgezeichnet.
Das ist mal wieder so eine Tatsache, die mich dazu bringt, gar nicht mehr so viel essen zu können, wie man hier kotzen müsste. Die übertreiebene Bürokratie der Sesselfurzer in manchen Behörden führt dazu, dass verbotene Inhalte im Netz bleiben und diese selbstproduzierte Handlungsunfähigkeit wird als Vorwand herangezogen, der Contentmafiaa durch die Zensurpläne in den Arsch zu kriechen. Ich verliere jeden Rest von Vertrauen in unsere Demokratur. Das ist nicht mehr schön.
Hervorragend! Die PM sitzt! :)
Könntest Du bitte den Link unter [2] zu Claytons Studie korrigieren?
Oh, tatsächlich, in der Version hier im Web fehlte bei [2] unten ein f im Link. Oben im Text ist alles korrekt. Ist nun korrigiert, danke für den Hinweis!
Dieser Beitrag gefällt mir sehr.Ich habe schon lange danach gesucht.Vielen Dank dafür.
Gruß Notebookfreake
Unglaublich, aber wieder mal ein gutes Beispiel wie bürokratisch wir sind. Da fehlen einem echt die Worte....
Lesenswerte Beiträge. Spiegeln sie doch wieder das unser Staat nur noch aus Bürokratie besteht und die Demokratie in den Hintergrund rückt.
Der gesamte Artikel und viele Kommentare sind für mich sehr aufschlussreich und interessant gewesen. Vieles stimmt mit meiner Meinung überein. Besonders gut finde ich aber die Anmerkung von " Christian ". Auch ich habe das schon persönlich erlebt, zwar in anderem Zusammenhang aber grundsätzlich stimmt es das die Bürokratie teilweise einen höheren Stellenwert in Deutschland besitzt als die Demokratie. Traurig so etwas! Gruss Jasmine
Hätte nicht gedacht das so etwas in Deutschland möglich ist. Echt unmöglich und unakzeptabel. Ich komme gerne wieder hier vorbei denn die Artikel und Kommentare öffnen mir echt die Augen. Gruss Beatrice aus Hannover.
wieso denn nicht.. es ist ja super!