Europäisches Parlament stellt die Weichen gegen verpflichtende Netzsperren in der EU

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Straßburg. Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments hat am Montagabend über den Kompromissvorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates „zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie“ abgestimmt. Dabei sprach sich der Ausschuss deutlich gegen eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zum Sperren von Webseiten aus. Stattdessen müssen alle Mitgliedsstaaten ihre Bemühungen zum Löschen von Webseiten, die Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern zeigen, verstärken. Sperren sind demnach zwar weiter möglich, dies aber nur, wenn Löschversuche erfolglos bleiben und in einem Rahmen, in dem zeitnah ein rechtlicher Widerspruch gegen eine Sperrung möglich ist.

Nach der Abstimmung im Innenausschuss des Parlaments werden die Verhandlungen zwischem dem Europäischen Parlament, der Kommission und dem Ministerrat nun in einem informellen Trilog weitergeführt.

 

Joe McNamee von EDRi (European Digital Rights):

„Dass das Parlament für echte Kinderschutzmaßnahmen und gegen Symbolpolitik gestimmt hat, ist von großer Bedeutung – nicht nur für diesen Vorschlag, sondern auch für den Schutz der Menschenrechte in Europa insgesamt.“

 

Christian Bahls von MOGiS e.V. (gegründet im April 2009 als "Missbrauchsopfer gegen Internetsperren):

„Uns war es in der Kampagne im Europäischen Parlament sehr wichtig, nicht nur für Deutschland die Verpflichtung zu Internetsperren zu verhindern, sondern zusätzlich ging es uns darum, die rechtlose Situation in Mitgliedsstaaten, die schon Sperren haben, zu beenden. Auch hoffen wir, dass mit dieser Entscheidung des Parlaments der fortschreitende Missbrauch des sexuellen Missbrauchs zur Durchsetzung politischer Entscheidung beendet wird.“

 

Alvar Freude, Mit-Gründer des AK Zensur und Mitglied der Internet-Enquête des Bundestages:

„Wer im Kampf gegen Kinderpornografie im Internet weiter auf die wirkungslosen Sperren setzt, duldet damit die weitere Verbreitung der Missbrauchs-Bilder und schafft gleichzeitig eine Infrastruktur für Internet-Zensur. Wie man eine solche auch einsetzen kann, haben uns in den letzten Tagen Tunesien, Ägypten und der Iran vorgeführt. Nur das Löschen ist rechtsstaatlich, nachhaltig und funktioniert. Zum Beispiel konnten wir innerhalb von 30 Minuten einschlägige Webseiten löschen, die seit Jahren in Dänemark nur notdürftig gesperrt waren.“

 

Rena Tangens vom FoeBuD:

„Gerade in diesen Tagen müssen wir begreifen, dass die Entscheidungen europäischer Staaten immer eine Wirkung nach außen haben. Staaten wie Ägypten oder Tunesien konnten ihre Internet-Sperren in der Vergangenheit damit begründen, in Europa würde man ähnlich vorgehen. Auch im Iran wurden die Internet-Sperren anfangs mit der Begründung eingeführt, man wolle gegen Missbrauchsdarstellungen vorgehen.“

 

Sebastian Raible vom AK Zensur:

„Das Europäische Parlament hat entschieden, den Staaten zwar nicht verbindlich Sperr-Regelungen, aber rechtsstaatliche Grundsätze für die Erstellung von Sperrlisten vorzuschreiben. Damit gibt es nun keinen Grund mehr für die Bundesregierung, am ohnehin ungeliebten Wahlkampfgeschöpf 'Zugangserschwerungsgesetz' festzuhalten. Die Verfassungsbeschwerde, die der AK Zensur in der kommenden Woche vorlegen wird, dürfte ihr die Entscheidung, das Gesetz aufzuheben, leichter machen.“

 

(Veröffentlichung honorarfrei)

 

Aussender:

Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur)
http://ak-zensur.de/

Pressekontakt: 

presse@ak-zensur.de
Alvar Freude, Tel. (0179) 13 46 47 1

 

Über European Digital Rights (EDRi)

Die Organisation European Digital Rights (EDRi) wurde im Juni 2002 gegründet. Sie vereint 29 Bürgerrechtsorganisationen aus 18 Ländern Europas und verteidigt Bürgerrechte im digitalen Umfeld.

EDRi betreibt ein Büro in Brüssel und koordiniert unter anderem die europaweite Arbeit der Sperrgegner.

http://www.edri.org/about/contact

 

Über MOGiS e.V. 

Der MOGiS e.V. wurde im April 2009 im Rahmen der Sperrdiskussion in Deutschland als „MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren“ gegründet. Nach Ende der Sperrdiskussion in Deutschland hat MOGiS e.V. seine Ziele erweitert und versteht sich inzwischen als “Eine Stimme für Betroffene”.

Mit dem MOGiS e.V. treten Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs für die Belange von Missbrauchsbetroffenen ein. So war zum Beispiel die zweite Vorsitzende Gabriele Gawlich in einer Anhörung von Betroffenen am Runden Tisch gegen Sexuellen Kindesmissbrauch als Expertin geladen.

Christian Bahls, ein Gründungsmitglied von MOGiS, wurde als Kind sexuell missbraucht und hat sich im April 2009 als Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs bekannt, um sich als Betroffener gegen die Sperren aussprechen zu können.

http://mogis-verein.de/

 

Über den FoeBuD e.V.

Der FoeBuD e.V. wurde 1987 von den Künstlern padeluun und Rena Tangens in Bielefeld ins Leben gerufen und setzt sich für Bürgerrechte, ungehinderte Kommunikation und Datenschutz ein.

Leitgedanke ist die Erhaltung einer lebenswerten Welt im digitalen Zeitalter. Sprecher des FoeBuD werden als Experten zum Thema Datenschutz eingeladen, so vom Verbraucherschutzministerium, vom Wirtschaftsministerium, vom NRW-Landtag, von einer Bundestagsfraktion und der EU-Kommission. Der FoeBuD ist gemeinnützig und lebt durch die Arbeit von vielen Freiwilligen. Er erhält eine Basisförderung der Stiftung bridge und finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und private Spenden.

http://www.foebud.de/

 

Über den Arbeitskreis gegen Internet-Sperren (AK Zensur)

Der  Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) ist ein formloser und überparteilicher Zusammenschluss verschiedener Online-Bürgerrechtsorganisationen, Internet-Aktivisten, Netzpolitikern, Juristen, Medienwissenschaftlern, Medienpädagogen und Technikern.

Ursprünglich als Bündnis gegen die Pläne zur Einführung von Internet-Sperren und das Zugangserschwerungsgesetz gegründet, beschäftigt sich der AK Zensur auch mit verwandten Themen wie Internet-Filtern („Jugendschutzprogrammen“) und dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag.

Mitglieder des AK Zensur werden regelmäßig als Sachverständige im Bundestag und den Landtagen geladen.

Dem AK Zensur gehören unter anderem an, in alphabetischer Reihenfolge: der Antispam e.V., die Initiative falle-internet.de, der FoeBuD e.V, der Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft e.V. (FITUG), das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FIfF), netzpolitik.org, ODEM.org, Spreeblick, der Trotz Allem e.V. und zahlreiche Einzelpersonen.

http://ak-zensur.de/

 

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EU: Starkes Signal gegen Netzsperren von AK Digitale Gesellschaft der SPD Schleswig-Holstein zu 15.02.11 9:53

Monatelang war diskutiert worden, doch nun steht es fest: Der Innenausschluss des Europäischen Parlaments spricht sich gegen Netzsperren aus. Die Debatte hatte internationale Aufmerksamkeit unter dem Stichwort "Censilia" bekommen, nachdem sich d Mehr

5 Kommentare

Tchaka! Mein herzlicher Glückwunsch an alle unermüdlichen Kämpfer gegen Zensur!

Die vera meinte, ich solle mein Dankeschön bei ihr auch noch hier hinschreiben.

Ein großes Dankeschön an alle Beteiligten!


- weil es hier nämlich passt: Von mir auch noch mal danke an alle, die Zeit, Nerven, Geld und Schlaf dafür eingesetzt haben.

In Sachen Zensur ist in anderen Teilen der Welt weit mehr zu tun als hier...

Jugendmedienschutz sollte im Kontext mit Human Trafficking betrachtet werden. Jugendschutz funktioniert nicht innerhalb einer Logik, die Millionen Menschen versklavt. Anti-Trafficking NGO`s, Jugendschutzorganisationen, Behörden, Kommissionen und Gerichte müssen ihre globale Zusammenarbeit verbessern.

https://sensiblochamaeleon.wordpress.com/2009/04/13/zensur-und-jugendschutz-und-bitte-teilen-sie-mir-ihre-kritik-nicht-telepathisch-mit-sondern-in-form-eines-kommentars-oder-einer-mail-oder-eines-telefonanrufs-oder-ekiga-skype-jabber-danke/

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